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Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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aber macht man keinen Gebrauch davon.«
    »Du hast viel Groll gegen uns Theologen angesammelt, lieber Freund! Aber du bist noch immer kein Denker geworden, du wirfst alles durcheinander Du wirst einiges hinzulernen müssen. Aber warum denn sagst du, wir machten von der Idee der Gerechtigkeit keinen Gebrauch!
    Jeden Tag und jede Stunde tun wir es. Ich zum Beispiel bin Abt und habe ein Kloster zu leiten, und in diesem Kloster geht es ebensowenig vollkommen und sündlos zu wie in der Welt draußen. Den noch setzen wir der Erbsünde be ständig und immer wieder die Idee der Gerechtigkeit entgegen und suchen unser unvollkommenes Leben an ihr zu messen und suchen das Böse zu korrigieren und unser Leben in beständige Beziehung zu Gott zu setzen.«
    »Ach ja, Narziß. Ich meine ja nicht dich und daß du etwa kein guter Abt seiest. Aber ich denke an Rebekka, an die verbrannten Juden, an die Massengräber, an das große Sterben, an die Gassen und Stuben, in denen die Pestleichen lagen und stanken, an diese ganze grauenhafte Wüstenei, an die verwahrlosten, allein zurückgebliebenen Kinder, an die in ihren Ketten verhungerten Ho fhunde – und wenn ich an das alles denke und diese Bilder vor mir sehe, dann tut das Herz mir weh, und es will mir scheinen, unsere Mütter hätten uns in eine hoffnungslos grausame und teuflische Welt hinein geboren, und es wäre besser, sie hätten es nicht getan und Gott hatte diese schreckliche Welt nicht erschaffen und der Heiland hatte sich nicht unnütz für sie ans Kreuz schlagen lassen.«
    Freundlich nickte Narziß dem Freunde zu.
    »Du hast ganz recht«, sagte er warm, »sprich es nur aus, sage mir alles. Aber in einem täuschest du dich sehr: du hältst das, was du da sprichst, für Gedanken. Es sind aber Gefühle! Es sind die Gefühle eines Menschen, dem das Grauen des Daseins zu schaffen macht. Nun vergiß aber nicht, daß diesen traurigen und verzweifelten Gefühlen ganz andere gegenüberstehen! Wenn du dich auf deinem Roß wohlfühlst und durch eine schöne Gegend reitest oder wenn du, leichtsinnig genug, dich am Abend ins Schloß einschleichst, um der Geliebten des Grafen den Hof zu machen, dann sieht die Welt für dich ganz anders aus, und alle Pesthäuser und alle verbrannten Juden können dich durchaus nicht hindern, deine Lust zu suchen Ist es nicht so?«
    »Gewiß, es ist so. Weil die Welt so voll von Tod und Grauen ist, darum suche ich immer wieder mein Herz zu trösten und die schönen Blumen zu pflücken, die es inmitten dieser Hölle gibt. Ich finde Lust, und ich vergesse für eine Stunde das Grauen. Darum ist es nicht minder da.«
    »Du hast es sehr gut formuliert. Also du findest dich in der Welt von Tod und Grauen umgeben, und daraus ent fliehst du in die Lust. Aber die Lust ist ohne Dauer, sie entläßt dich wieder in die Wüste.«
    »Ja, so ist es.«
    »Es geht den meisten Menschen so, nur empfinden es wenige mit solcher Stärke und Heftigkeit wie du, und wenige haben das Bedürfnis, dieser Empfindungen bewußt zu werden. Aber sage doch außer diesem verzweifelten Hin und Her zwischen Lust und Grauen, außer dieser Schaukel zwischen Lebenslust und Todesgefühl – hast du nicht außerdem noch irgendeinen Weg probiert?«
    »O ja, natürlich. Ich habe es mit der Kunst probiert. Ich sagte dir ja schon, daß ich unter anderem auch Künstler geworden bin. Eines Tages, ich war vielleicht drei Jahre in der Welt draußen und beinahe die ganze Zeit auf Wanderschaft gewesen, fand ich in einer Klosterkirche eine hölzerne Mutter Gottes stehen, die war so schön, und ihr Anblick ergriff mich so sehr, daß ich nach dem Meister fragte und suchte, der sie gemacht hatte. Ich fand ihn, es war ein berühmter Meister, ich wurde sein Schüler und habe einige Jahre bei ihm gearbeitet.«
    »Du wirst mir davon später noch mehr erzählen. Aber was war es denn, was die Kunst dir gebracht und bedeutet hat?«
    »Es war die Überwindung der Vergänglichkeit. Ich sah, daß aus dem Narrenspiel und Totentanz des Menschenlebens etwas übrigblieb und überdauerte die Kunstwerke.
    Auch sie vergehen ja wohl irgendeinmal, sie verbrennen oder verderben oder werden wieder zerschlagen. Aber immerhin überdauern sie manches Menschenleben und bilden jenseits des Augenblicks ein stilles Reich der Bilder und Heiligtümer. Daran mitzuarbeiten scheint mir gut und tröstlich, denn es ist beinahe ein Verewigen des Vergänglichen.«
    »Das gefällt mir sehr, Goldmund Ich hoffe, du werdest noch viele schöne Werke

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