Narziss und Goldmund
schlechter Mönch aus dir werden. Aber ich lade dich ja gar nicht dazu ein, in den Orden zu treten, ich lade dich bloß ein, unser Gast zu sein und dir bei uns eine Werkstatt einzurichten. Und noch eines vergiß nicht, daß damals in unsern Jünglingsjahren ich es gewesen bin, der dich aufgeweckt hat und ins Weltleben hinaus hat ziehen lassen. Es mag aus dir Gutes oder Schlechtes geworden sein, nächst dir selbst trage dafür ich die Verantwortung. Ich will sehen, was aus dir geworden ist, du wirst es mir zeigen, in Worten, im Leben, in deinen Werken. Wenn du es gezeigt haben wirst und wenn ich dann etwa finden sollte, daß unser Haus keine Stätte für dich ist, so werde ich der erste sein, der dich bitten wird, es wieder zu verlassen.«
Goldmund war jedesmal voll Bewunderung, wenn sein Freund so sprach, wenn er als Abt auftrat, mit der stillen Sicherheit und diesem Anflug von Spott für Weltleute und Weltleben, denn dann wurde ihm sichtbar, was aus Narziß geworden war: ein Mann. Ein Mann des Geistes zwar und der Kirche, mit zarten Händen und einem Gelehrtengesicht, aber ein Mann voll Sicherheit und Mut, ein Führer, einer, der Verantwortung trug. Dieser Mann Narziß war nicht mehr der Jüngling von damals und nicht mehr der sanfte innige Jünger Johannes, und diesen neuen Narziß, diesen männlichen und ritterlichen, wollte er mit seinen Händen abbilden. Viele Figuren warteten auf ihn. Narziß, der Abt Daniel, der Pater Anselm, der Meister Niklaus, die schöne Rebekka, die schöne Agnes und noch so manche andere, Freunde und Feinde, Lebende und Tote. Nein, er wollte kein Ordensbruder werden, weder ein frommer noch ein gelehrter, er wollte Werke schaffen, und daß seine einstige Jugendheimat die Heimat dieser Werke sein würde, machte ihn glücklich.
Sie ritten durch den kühlen Spätherbst, und eines Tages, an dem morgens die kahlen Bäume dick voll Rauhreif hingen, ritten sie über ein welliges weites Land mit leeren rötlichen Moorgebieten, und die Linien der langen Hügelzüge blickten merkwürdig mahnend und altbekannt, und es kam ein hoher Eschenwald und ein Bachlauf und eine alte Scheuer, bei deren Anblick fing Goldmunds Herz in froher Bangigkeit zu schmerzen an, er erkannte die Hügel, über die er einstmals mit der Ritterstochter Lydia geritten war, und die Heide, über die e r einst, vertrieben und tief be trübt, durch den dünnen Schneefall davongewandert war.
Es tauchten die Erlengruppen auf, und die Mühle, und die Burg, mit wunderlichem Schmerz erkannte er das Fenster der Schreibstube, in der er damals, in der sagenhaften Jugendzeit, den Ritter von seiner Pilgerfahrt hatte erzählen hören und sein Latein hatte korrigieren müssen. Sie ritten in den Hof, er gehö rte zu den vorbestimmten Statio nen ihrer Reise. Goldmund bat den Abt, hier seinen Namen nicht zu nennen und ihn mit dem Reitknecht beim Gesinde speisen zu lassen. So geschah es. Es war kein alter Ritter mehr da und keine Lydia, wohl aber noch einige von den Jägern und Knechten, und im Hause lebte und regierte eine sehr schöne, stolze und herrische Edelfrau, Julie, an der Seite eines Ehegatten. Wunderbar schön sah sie noch immer aus, sehr schön und etwas böse, weder von ihr noch vom Gesinde wurde Goldmund erkannt. Nach dem Imbiß in der Abenddämmerung schlich er zum Garten hinüber, sah über den Zaun auf die schon winterlichen Beete, schlich zur Stalltür und schielte zu den Pferden hinein. Mit dem Reitknecht schlief er auf dem Stroh, und die Last der Erinnerungen lag ihm auf der Brust, er erwachte viele Male. O wie zerstückt und unfruchtbar lag hinter ihm sein Leben, an herrlichen Bildern reich, aber in so viele Scherben zerschmissen, so arm an Wert, so arm an Liebe! Mor gens beim Wegreiten blickte er bang zu den Fenstern empor, ob er vielleicht Julie noch einmal zu Gesicht bekäme.
So hatte er vor kurzem im Hof der Bischofsresidenz um hergeblickt, ob Agnes sich noch einmal zeige. Sie war nicht gekommen, und auch Julie zeigte sich nicht mehr. So war sein ganzes Leben gewesen, schien ihm Abschiednehmen, Davonfliehen, Vergessenwerden, Dastehen mit leeren Händen und frierendem Herzen. Den ganzen Tag ging es ihm nach, er sprach kein Wort, finster hing er im Sattel. Narziß ließ ihn gewähren.
Nun aber näherten sie sich dem Ziel, und nach einigen Tagen war es erreicht. Kurz ehe Turm und Dächer des Klosters sichtbar wurden, ritten sie über jene steinigen Brachfelder hin, auf denen er, o vor wie langer Zeit, einst Johanniskraut
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