Narziss und Goldmund
schien, um ihn besorgt gezeigt, wohl half und riet er ihm getreulich in allen Angelegenheiten der Schule und Gelehrsamkeit, erklärte ihm schwierige Stellen der Bücher, öffnete ihm Blicke ins Reich der Grammatik, der Logik, der Theologie; aber niemals schien er so recht mit dem Freunde zufrieden und einverstanden, ja oft genug schien er ihn zu belächeln und nicht ernst zu nehmen. Goldmund fühlte zwar, daß dies nicht bloße Schulmeisterei sei, nicht bloßes Wichtigtun des Älteren und Gescheiteren, daß etwas anderes dahinterstehe, etwas Tieferes, Wichtigeres. Erkennen aber konnte er dies Tiefere nicht, und so machte seine Freundschaft ihn oft traurig und ratlos.
In Wirklichkeit wußte Narziß recht wohl, was an seinem Freunde sei, er war nicht blind für seine blühende Schönheit, noch für seine naturhafte Lebenskraft und blumige Fülle. Er war keineswegs ein Schulmeister, der eine glühende junge Seele mit Griechisch füttern, eine unschuldige Liebe mit Logik beantworten wollte. Allzusehr vielmehr liebte er den blonden Jüngling, und für ihn war dies eine Gefahr; denn Lieben war für ihn kein natürlicher Zustand, sondern ein Wunder. Er durfte sich nicht verlieben, sich nicht mit dem wohligen Anschauen dieser hübschen Augen, mit der Nähe dieser blühenden lichten Blondheit begnügen, er durfte dieser Liebe nicht erlauben, auch nur einen Augenblick beim Sinnlichen zu verweilen. Denn wenn Goldmund sich zum Mönch und Asketen und zu einem lebenslangen Streben na ch Heiligkeit bestimmt fühlte – Narziß war wirklich zu einem solchen Leben bestimmt.
Ihm war Lieben nur in einer einzigen, der höchsten Form erlaubt. An Goldmunds Bestimmung zum Asketen aber glaubte Narziß nicht. Deutlicher als ein anderer verstand er in Menschen zu lesen, und hier, wo er liebte, las er mit gesteigerter Klarheit. Er sah Goldmunds Natur, die er trotz des Gegensatzes innigst verstand; denn sie war die andere, verlorene Hälfte seiner eigenen. Er sah diese Natur von einer harten Schale umpanzert, von Einbildungen, Erziehungsfehlern, Vaterworten, und ahnte längst das ganze, nicht komplizierte Geheimnis dieses jungen Lebens. Seine Aufgabe war ihm klar: dies Geheimnis seinem Träger zu enthüllen, ihn von der Schale zu befreien, ihm seine eigentliche Natur zurückzugeben. Es würde schwer sein, und das Schwerste daran war, daß ihm der Freund vielleicht darüber verlorengehen würde.
Unendlich langsam rückte er dem Ziele näher. Monate vergingen, ehe auch nur ein ernster Angriff, ein tiefgreifendes Gespräch zwischen beiden möglich wurde . So weit waren sie, trotz aller Freundschaft, auseinander, so weit war der Bogen zwischen beiden gespannt. Ein Sehender und ein Blinder, so gingen sie nebeneinander; daß der Blinde von seiner eigenen Blindheit nichts wußte, war nur für diesen selbst eine Erleichterung.
Die erste Bresche schlug Narziß, als er das Erlebnis zu erforschen suchte, das ihm damals den erschütterten Knaben in einer schwachen S tunde zugetrieben hatte. Die Er forschung war weniger schwierig, als er gedacht hatte.
Längst fühlte Goldmund das Bedürfnis, das Erlebnis jener Nacht zu beichten; doch gab es niemanden außer dem Abt, zu dem er genug Vertrauen fühlte, und der Abt war nicht sein Beichtvater. Als nun Narziß in einer Stunde, die ihm günstig schien, den Freund an jenen ersten Beginn ihres Bundes erinnerte und sachte an das Geheimnis rührte, sagte der ohne Umschweife: »Es ist schade, daß du die Weihen noch nicht hast und noch nicht Beichte hören kannst; gern hätte ich mich von jener Sache in der Beichte befreit und gern dafür eine Strafe abgebüßt. Aber meinem Beichtvater konnte ich sie nicht sagen.«
Vorsichtig, listig grub Narziß weiter, die Fährte war gefunden. »Du erinnerst dich«, probierte er, »an jenen Morgen, wo du krank zu sein schienst; du hast ihn nicht vergessen, denn damals sind wir ja Freunde geworden. Ich habe oft daran denken müssen. Vielleicht hast du es nicht beachtet, aber ich war damals recht hilflos.«
»Du hilflos!?« rief der Freund ungläubig. »Aber der Hilflose war ja ich! Ich war es doch, der dastand und schluckte und kein Wort herausbrachte und schließlich wie ein Kind zu weinen anfing! Pfui, ich schäme mich noch heute dieser Stunde; ich glaubte, ich würde dir nie mehr vor die Augen treten können. Daß du mich so jämmerlich schwach gesehen hast!«
Tastend drang Narziß vor.
»Ich verstehe«, sagte er, »daß dir das unangenehm war.
Ein so fester und
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