Narziss und Goldmund
fürchten für Goldmund war eher, daß sein Freund ihn mit einem gewissen Geistdünkel und gelehr ten Hochmut anstecken werde; aber die Gefahr schien ihm gerade für diesen Schüler nicht groß zu sein; man konnte es darauf ankommen lassen.
Wenn er daran dachte, wieviel einfacher, friedlicher und bequemer es für einen Vorsteher sei, Durchschnittsmenschen statt großer und starker Naturen zu regieren, so mußte er zugleich seufzen und lächeln. Nein, er wollte sich nicht vom Mißtrauen anstecken lassen, er wollte nicht undankbar dafür sein, daß ihm zwei Ausnahmemenschen anvertraut waren.
Narziß dachte viel über seinen Freund nach. Sein besonderes Vermögen, die Artung und Bestimmung der Menschen zu schauen und fühlend zu erkennen, hatte ihm über Goldmund längst Bescheid gesagt. Alles Lebendige und Strahlende an diesem Jüngling sprach so deutlich: er trug alle Zeichen eines starken, in den Sinnen und der Seele reich begabten Menschen, eines Künstlers vielleicht, jedenfalls aber eines Menschen von großer Liebeskraft, dessen Bestimmung und Glück darin bestand, entzündbar zu sein und sich hingeben zu können. Warum war nun dieser Liebesmensch, dieser Mensch mit den feinen, reichen Sinnen, der einen Blumenduft, eine Morgensonne, ein Pferd, einen Vogelflug, eine Musik so tief erleben und lieben konnte, warum nur war er darauf versessen, ein Geistmensch und Asket zu sein? Viel grübelte Narziß darüber nach. Er wußte, daß Goldmunds Vater diese Versessenheit begünstigt hatte. Aber konnte er sie hervorgebracht haben? Mit welchem Zauber hatte er den Sohn verhext, daß er an eine solche Bestimmung und Pflicht glaubte? Was für ein Mensch mochte dieser Vater sein? Obwohl er absichtlich sehr oft die Rede auf ihn gebracht und Goldmund nicht wenig von ihm gesprochen hatte, konnte Narziß sich doch diesen Vater nicht vorstellen, er konnte ihn nicht sehen. War das nicht merkwürdig und verdächtig? Wenn Goldmund von einer Forelle sprach, die er als Knabe ge fangen hatte, wenn er einen Schmetterling beschrieb, einen Vogelruf nachahmte, von einem Kameraden, einem Hund oder einem Bettler erzählte, dann entstanden Bilder, dann sah man etwas. Wenn er von seinem Vater sprach, dann sah man nichts. Nein, wäre dieser Vater wirklich in Goldmunds Leben eine so wichtige, mächtige, beherrschende Figur gewesen, er hätte ihn anders zu schildern, er hätte andere Bilder von ihm hinzustellen vermocht!
Narziß dachte nicht hoch von diesem Vater, er gefiel ihm nicht; er zweifelte manchmal sogar, ob er wirklich Goldmunds Vater sei. Er war ein leerer Götze. Aber woher hatte er diese Macht? Wie hatte er Goldmunds Seele mit Träumen füllen können, die dem Kern dieser Seele so fremd waren?
Auch Goldmund grübelte viel. So sehr er der herzlichen Liebe seines Freundes sich sicher fühlte, er hatte doch immer wieder das lästige Gefühl, von ihm nicht ernst genug genommen und immer ein wenig wie ein Kind behandelt zu werden. Und was bedeutete das, daß der Freund ihm immer wieder zu verstehen gab, er sei nicht seinesgleichen?
Indessen füllte dies Grübeln Goldmunds Tage nicht aus.
Lange zu grübeln, das vermochte er nicht. Es gab anderes zu tun den langen Tag hindurch. Er steckte oft beim Bruder Pförtner, mit dem stand er sehr gut. Er erbettelte und erlistete sich immer einmal wieder die Gelegenheit, eine Stunde oder zwei auf dem Pferde Bleß zu reiten, und sehr beliebt war er bei den paar Umsassen des Klosters, namentlich beim Müller; oft lauerte er mit dessen Knecht dem Fischotter auf, oder sie buken Fladen aus dem feinen Prälatenmehl, das Goldmund geschlossenen Auges, nur am Geruch, aus allen Mehlarten herauskannte. War er auch viel mit Narziß zusammen, es blieben doch manche Stunden, in denen er seinen al ten Gewohnheiten und Freuden nachging. Auch die Gottesdienste waren ihm meistens eine Freude, gerne sang er im Chor der Schüler mit, gern betete er einen Rosenkranz vor einem Lieblingsaltar, hörte das schöne, feierliche Lat ein der Messe, sah im Weihrauch gewölk das Gold der Geräte und Zierate funkeln und die stillen, ehrwürdigen Heiligenfiguren auf den Säulen stehen, die Evangelisten mit den Tieren, den Jakobus mit Hut und Pilgertasche.
Von diesen Gestalten fühlte er sich angezogen, diese steinernen und hölzernen Figuren dachte er sich gerne in geheimnisvoller Beziehung zu seiner Person, etwa als unsterbliche allwissende Paten, Beschützer und Wegweiser seines Lebens. Ebenso spürte er eine Liebe und eine
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