Narziss und Goldmund
Blick zu seinem Ziel zu rückkehren, der schönen Fliehenden. Bald mußte er sie erreichen.
Als Lydia ihn nahe wußte, gab sie die Flucht auf und ließ das Tier im Schritt gehen. Sie wandte sich nicht nach dem Verfolger um. Stolz, scheinbar gleichmütig ritt sie vor sich hin, als wäre nichts gewesen, als wäre sie allein. Er trieb sein Pferd neben ihres, dicht nebeneinander schritten friedlich die beiden Rosse , aber Tier und Reiter waren er hitzt vom Jagen.
»Lydia!« rief er leise.
Sie gab keine Antwort.
»Lydia!«
Sie blieb stumm.
»Wie schön war das, Lydia, dich von fern reiten zu sehen, wie ein goldener Blitz flog dein Haar hinter dir her.
Wie schön war das! Ach, wie wunderbar, daß du vor mir geflohen bist! Da sah ich erst, daß du mich ein wenig liebhast. Ich hatte es nicht gewußt, noch gestern abend war ich im Zweifel, Erst da, als du mir zu entfliehen versucht hast, habe ich plötzlich verstanden. Schöne, Liebe, du mußt müde sein, laß uns absteigen!«
Er sprang rasch vom Pferde und faßte im selben Augenblick ihre Zügel, daß sie nicht nochmals ausrisse. Schnee weiß blickte ihr Gesicht zu ihm herab, und als er sie vom Pferde hob, brach sie in Weinen aus. Behutsam führte er sie ein paar Schritte, ließ sie ins verdorrte Gras niedersitzen und kniete neben ihr. Da saß sie und kämpfte mit dem Schluchzen, tapfer kämpfte sie und wurde Herr darüber.
»Ach, daß du so schlecht bist!« fing sie an, als sie sprechen konnte. Kaum brachte sie die Worte heraus.
»Bin ich so schlecht?«
»Du bist ein Frauenverführer, Goldmund. Laß mich vergessen, was du mir da vorher gesagt hast, es waren unverschämte Worte, es ziemt sich nicht für dich, so mit mir zu reden. Wie kannst du glauben, ich hätte dich lieb? Laß uns das vergessen! Aber wie soll ich vergessen, was ich gestern abend habe sehen müssen?«
»Gestern abend? Was hast du denn da gesehen?«
»Ach, tu nicht so, lüge doch nicht so! Es war gräßlich und schamlos, wie du da vor meinen Augen dieser Frau schön getan hast! Hast du denn keine Scham? Sogar das Bein hast du ihr gestreichelt, unterm Tisch, unter unserem Tisch! Vor mir, vor meinen Augen! Und jetzt kommst du, wo sie fort ist, und stellst mir nach! Du weißt wirklich nicht, was Scham ist.«
Goldmund hatte längst schon die Worte bereut, die er ihr gesagt hatte, ehe er sie vom Pferd holte. Wie dumm war das gewesen, Worte waren in der Liebe entbe hrlich, er hät te schweigen sollen.
Er sagte nichts mehr. Er kniete neben ihr, und da sie ihn so schön und unglücklich ansah, steckte ihr Leid ihn an; er fühlte selbst, daß da etwas zu beklagen war. Aber trotz al lem, was sie da gesagt hatte, sah er in ihrem Auge doch Liebe, und auch der Schmerz auf ihren zuckenden Lippen war Liebe. Er glaubte ihrem Auge mehr als ihren Worten.
Aber sie hatte eine Antwort erwartet. Da sie nicht kam, machte Lydia ihre Lippen noch herber, sah ihn aus den etwas verweinten Augen an und wiederholte: »Hast du denn wirklich keine Scham?«
»Verzeih«, sagte er demütig, »wir sprechen da von Sachen, über die man nicht sprechen sollte. Es ist meine Schuld, verzeih mir! Du fragst, ob ich keine Scham habe. Ja, Schani habe ich wohl. Aber ich habe dich doch lieb, du, und die Liebe weiß nichts von Scham. Sei nicht böse!«
Sie schien kaum zu hören. Sie saß und machte diesen bitteren Mund und blickte darüber weg in die Ferne, als wäre sie ganz allein. Nie war er in einer solchen Lage gewesen. Es kam vom Sprechen.
Sanft legte er sein Gesicht auf ihr Knie, und sogleich tat die Berührung ihm wohl. Doch war er etwas ratlos und traurig, und auch sie schien noch immer traurig zu sein, sie saß regungslos, schwieg und sah ins Weite. Wieviel Verlegenheit, wieviel Traurigkeit! Aber das Knie nahm das Anschmiegen seiner Wange freundlich an, es wies ihn nicht zurück. Mit geschlossenen Augen lag sein Gesicht auf ihrem Knie, langsam nahm es dessen edle, lange Form in sich auf. Goldmund dachte mit Freude und Rührung, wie sehr dies Knie in seiner vornehmen und jugendlichen Form ihren langen, schö nen, straff gewölbten Fingernä geln entspreche. Dankbar schmiegte er sich an das Knie, ließ Wange und Mund mit ihm sprechen.
Jetzt spürte er ihre Hand, die sich zaghaft und vogel leicht auf sein Haar legte. Liebe Hand, fühlte er und spürte, wie sie leise und kindlich sein Haar streichelte. Ihre Hand hatte er oft schon genau betrachtet und bewundert, er kannte sie beinah wie seine e igene, die langen schlanken Finger
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