Narziss und Goldmund
mit den langen, schön gewölbten, rosigen Hügeln der Fingernägel. Nun sprachen die langen zarten Finger schüchtern mit seinen Locken. Ihre Sprache war kindlich und bange, aber sie war Liebe. Dankbar schmiegte er seinen Kopf in ihre Hand, fühlte mit dem Nacken, mit den Wangen ihre Handfläche.
Da sagte sie: »Es ist Zeit, wir müssen fort.«
Er hob den Kopf und sah sie zärtlich an, sanft küßte er ihre schlanken Finger.
»Bitte, steh auf«, sagte sie, »wir müssen nach Haus.«
Er gehorchte sofort, sie standen auf, sie stiegen auf ihre Pferde, sie ritten.
Goldmunds Herz war voll Glück. Wie schön war Lydia, wie kindlich rein und zart! Noch nicht einmal geküßt hatte er sie, und war doch so beschenkt und von ihr erfüllt. Sie ritten scharf, und erst bei der Heimkehr, dicht vor der Einfahrt des Hofes, erschrak sie und sagte:
»Wir hätten nicht beide zugleich ankommen sollen. Wie töricht wir sind!« Und noch im letzten Augenblick, als sie von den Pferden stiegen und schon ein Reitknecht gelaufen kam, flüsterte sie ihm rasch und glühend ins Ohr: »Sag mir, ob du heut nacht bei diesem Weib gewesen bist!« Er schüttelte den Kopf viele Male und machte sich daran, das Pferd abzuzäumen.
Am Nachmittag, als ihr Vater ausgegangen war, fand sie sich in der Schreibstube ein. »Ist es auch wahr?« fragte sie sofort mit Leidenschaft, und er wußte alsbald, was sie meinte.
»Warum hast du dann so mit ihr gespielt, so abscheulich, und sie verliebt gemacht?«
»Es galt dir«, sagte er. »Glaube mir, tausendmal lieber hätte ich deinen Fuß gestreichelt als den ihren. Aber nie ist dein Fuß unterm Tisch zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich dich liebhabe.«
»Hast du mich wirklich lieb, Goldmund?«
»O ja.«
»Aber was soll daraus werden?«
»Ich weiß es nicht, Lydia. Es kümmert mich auch nicht.
Es macht mich glücklich, dich zu lieben – was daraus werden wird, daran denke ich nicht. Ich bin froh, wenn ich dich reiten sehe, und wenn ich deine Stimme höre, und wenn deine Finger mir das Haar streicheln. Ich werde froh sein, wenn ich dich küssen darf.«
»Man darf nur seine Braut küssen, Goldmund. Hast du daran nie gedacht?«
»Nein, ich habe nie daran gedacht. Warum sollte ich? Du weißt so gut wie ich, daß du nicht meine Braut werden kannst.«
»So ist es. Und weil du nicht mein Mann werden und immer bei mir bleiben kannst, darum war es sehr unrecht von dir, mir von Liebe zu sprechen. Hast du geglaubt, daß du mich verführen könntest?«
»Ich habe nichts geglaubt und gedacht, Lydia, ich denke überhaupt viel weniger, als du meinst. Ich wünsche nichts, als daß du mich einmal küssen möchtest. Wir sprechen so viel. Liebende tun das nicht. Ich glaube, du hast mich nicht lieb.«
»Heut morgen hast du das Gegenteil gesagt.«
»Und du hast das Gegenteil getan!«
»Ich? Wie meinst du das?«
»Zuerst bist du vor mir davongeritten, als du mich kommen sahst. Da glaubte ich, du liebest mich. Dann hast du weinen müssen, und ich glaubte, es sei, weil du mich liebhättest. Dann lag mein Kopf auf deinem Knie, und du hast mich gestreichelt, und ich glaubte, das sei Liebe. Aber jetzt tust du nichts Liebes mit mir.«
»Ich bin nicht so wie die Frau, deren Fuß du gestern gestreichelt hast. Du scheinst an solche Frauen gewöhnt zu sein.«
»Nein, Gott sei Dank bist du viel schöner und feiner als sie.« – »Ich meine nicht das.«
»Oh, es ist aber so. Weißt du denn, wie schön du bist?«
»Ich habe einen Spiegel.«
»Hast du darin einmal deine Stirn gesehen, Lydia? Und dann die Schultern, und dann die Fingernägel, und dann die Knie? Und hast du gesehen, wie das alles einander gleicht und sich aufeinander reimt, wie das alles die gleiche Form hat, eine lange, gestreckte, feste und sehr schlanke Form? Hast du es gesehen?«
»Wie du sprichst! Ich habe es eigentlich nie gesehen, aber jetzt, wo du es sagst, weiß ich doch, was du meinst.
Höre, du bist doch ein Verführer, jetzt versuchst du es, mich eitel zu machen.«
»Schade, ich kann es dir nicht recht machen. Aber warum soll mir denn daran gelegen sein, dich eitel zu machen?
Du bist schön, und ich möchte dir zeigen, daß ich dafür dankbar bin. Du zwingst mich, es dir mit Worten zu sagen; ich könnte es dir tausendmal besser sagen als mit Worten.
Mit Worten kann ich dir nichts geben! Mit Worten kann ich auch nichts von dir lernen und du nichts von mir.«
»Was soll ich denn von dir lernen?«
»Ich von dir, Lydia, und du von mir.
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