Narziss und Goldmund
Schreien vor der Haustür, er ging hinaus. Ängstlich sah der Kamerad ihn an
»Was ist?« fragte er leise, die Stimme voll Furcht. »Ist denn niemand im Haus? Oh, und was machst du für Augen Sprich doch?«
Goldmund maß ihn mit kühlem Blick.
»Geh hinein und sieh dir ’s an, es ist ein komisches Bau ernhaus. Nachher melken wir die schöne Kuh drüben.
Vorwärts!«
Unentschlossen betrat Robert die Hütte, steuerte auf die Herdstatt los, entdeckte die sitzende Alte und stieß, als er merkte, sie sei tot, einen lauten Schrei aus. Eilig kam er zurück, mit aufgerissenen Augen.
»Um Gottes willen! Da sitzt ein totes Weib am Herd. Was ist das? Warum ist niemand bei ihr? Warum begräbt man sie nicht? O Gott, es riecht ja schon.«
Goldmund lächelte.
»Du bist ein großer Held, Robert, aber du bist gar zu rasch wieder umgekehrt. Eine tote alte Frau ist ja, wenn sie so im Stuhl sitzt, ein merkwürdiger Anblick, aber du kannst, wenn du ein paar Schritte weitergehst, noch viel Merkwürdigeres sehen. Es sind fünf, Robert In den Betten liegen drei, und ein toter Bub liegt mitten auf der Schwelle.
Alle sind tot. Die ganze Familie liegt und ist tot, das Haus ist ausgestorben. Darum hat auch niemand die Kuh gemolken.«
Entsetzt starrte der andere ihn an, dann rief er plötzlich mit erstickter Stimme: »Oh jetzt versteh ich auch die Bauern, die uns gestern nicht in ihr Dorf haben einlassen wollen. O Gott, jetzt wird mir alles klar. Es ist die Pest! Es ist bei meiner armen Seele die Pest, Goldmund! Und du bist so lange da drinnen gewesen, und womöglich hast du die Toten angerührt! Weg, du, komm mir nicht näher, du bist sicher vergiftet. Es tut mir leid, Goldmund, aber ich muß fort, ich kann nicht bei dir bleiben.«
Er wollte schon laufen, wurde aber am Pilgerrock festgehalten. Goldmund sah ihn streng mit stummem Tadel an und hielt ihn, der sich sträubte und stemmte, unerbittlich fest
»Mein kleiner Junge«, sagte er mit freundlich-spötti schem Ton, »du bist klüger, als man meinen sollte, du wirst wahrscheinlich recht haben. Nun, das werden wir im nächsten Hof oder Dorf erfahren. Wahrscheinlich ist die Pest in dieser Gegend. Wir werden sehen, ob wir wohlbe halten wieder davonkommen. Aber laufen lassen, kleiner Robert, kann ich dich nich t. Schau, ich bin ein barmherzi ger Mensch, mein Herz ist viel zu weich, und wenn ich denke, du könntest dich nun da drinnen angesteckt haben, und ich ließe dich fortlaufen, und du legtest dich da irgendwo im Feld zum Sterben hin, so ganz allein, und kein Mensch würde dir die Augen zutun und keiner dir ein Grab machen und etwas Erde auf dich werfen – nein, lieber Freund, da würgt mich der Jammer. Also paß auf und merke dir sehr gut, was ich sage, ich sage es nicht zweimal: wir zwei sind in der gleichen Gefahr, es kann dich oder mich treffen. Wir bleiben also beisammen, und wir werden beide miteinander entwed er umkommen oder dieser ver fluchten Pest entrinnen. Wenn du krank wirst und stirbst, so wirst du von mir begraben, das soll gelten. Und wenn ich es bin, der sterben muß, dann tu wie du magst, begrabe mich oder drücke dich davon, mir ist es einerlei. Vorher aber, Teurer, wird nicht ausgekniffen, merke dir das! Wir werden einer den andern nötig haben. Und jetzt halte das Maul, ich will nichts hören, und suche irgendwo im Stall einen Eimer, daß wir endlich die Kuh melken können.«
So geschah es, und vom Augenblick an war es Goldmund, der befahl, und Robert, der gehorchte, und es ging beiden gut dabei. Robert machte keinen Versuch mehr zu entfliehen. Er sagte nur begütigend: »Ich hatte einen Augenblick Angst vor dir. Dein Gesicht gefiel mir nicht, als du aus dem Totenhaus zurückkamst. Ich glaubte, du hättest dir die Pest geholt. Aber wenn es auch nicht die Pest ist, dein Gesicht ist anders geworden. War es so schlimm, was du dort drinnen gesehen hast?«
»Es war nicht schlimm«, sagte Goldmund zögernd »Ich habe dort drinnen nichts gesehen als das, was mir und dir und allen bevorsteht, auch wenn wir nicht die Pest bekommen.«
Im Weiterwandern stießen sie bald überall auf den Schwarzen Tod, der im La nd regierte. Manche Dörfer lie ßen keinen Fremden ein, in anderen konnten sie ungehindert durch alle Gassen gehen. Viele Höfe standen verlassen, viele unbeerdigte Tote verwesten auf dem Felde oder in den Stuben. In den Ställen brüllten ungemolken oder hungernd die Kühe, oder das Vieh lief wild im Felde. Sie molken und fütterten ma nche Kuh und Ziege,
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