Narziss und Goldmund
Künstler war, machte sein Leben reich und schwierig. Jedes Leben wird ja erst durch Spaltung und Widerspruch reich und blühend. Was wäre Vernunft und Nüchternheit ohne das Wissen vom Rausch, was wäre Sinnenlust, wenn nicht der Tod hinter ihr stünde, und was wäre Liebe ohne die ewige Todfeindschaft der Geschlechter?
Sommer und Herbst sanken hinab, mühsam brachte sich Goldmund durch die kargen Monate, berauscht durchwanderte er den süßen duftenden Frühling, die Jahreszeiten liefen so eilig hinweg, so schnell sank immer wieder die hohe Sommersonne hinab. Es ging Jahr um Jahr, und es schien, als habe Goldmund vergessen, daß es anderes auf Erden gebe als Hunger und Liebe und diese stille unheimliche Eile der Jahreszeiten, es schien, als sei er ganz in der mütterlichen, triebhaften Urwelt versunken. In jedem Traum aber und bei jeder sinnenden Rast mit dem Blick über die blühenden und welkenden Taler war er voll Schauen, war Künstler, litt an quälender Sehnsucht, den holden dahintreibenden Unsinn des Lebens durch Geist zu beschwören und in Sinn zu verwandeln.
Einst traf er, der seit dem blutigen Abenteuer mit Viktor nie mehr anders als allein gewandert war, auf einen Kameraden, der sich unmerklich ihm anschloß und den er eine ganze Weile nicht loswurde. Doch war er nicht von der Art Viktors, sondern es war ein Rompilger, ein noch junger Mann in Kutte und Pilgerhut, der Robert hieß und am Bodensee zu Hause war. Dieser Mensch, ein Handwerk er sohn und eine Weile bei den Mönchen des heiligen Gallus zur Schule gegangen, hatte sich schon als Knabe eine Wallfahrt nach Rom in den Kopf gesetzt und sich immer diesem Lieblingsgedanken hingegeben und die erste Gelegenheit, ihn auszuführen, ergriffen. Diese war der Tod seines Vaters, in dessen Werkstatt er als Schreiner gearbeitet hatte. Kaum war der Alte begraben, da erklärte Robert seiner Mutter und Schwester, daß nichts ihn zurückhalten könne, sofort zur Stillung seines Dranges, und um für seine und seines Vaters Sünden zu büßen, die Pilgerfahrt nach Rom anzutreten. Vergebens klagten die Frauen, vergebens schalten sie ihn aus, er blieb eigensinnig und trat, statt für die beiden Weiber zu sorgen, ohne den Segen der Mutter und unter den zornigen Schimpfreden seiner Schwester die Reise an. W as ihn trieb, war vor allem Wan derlust, mit ihr verband sich eine Art von oberflächlicher Frömmigkeit, das heißt eine Neigung zum Verweilen in der Nähe kirchlicher Stätten und ge istlicher Verrichtun gen, eine Freude an Gottesdienst, Taufe, Begräbnis, Messe, Weihrauch und Kerzenflammen. Er konnte ein wenig Latein, aber nicht Gelehrsamkeit war es, wonach seine kindliche Seele strebte, sondern Beschaulichkeit und stille Schwärmerei im Schatten der Kirchengewölbe. Er war als Knabe mit Leidenschaft dem Dienst als Meßbub hingegeben gewesen. Goldmund nahm ihn nicht sehr ernst und mochte ihn doch gern, ein wenig fühlte er sich ihm verwandt in dem triebhaften Hingegebensein an Wanderung und Fremde. Robert war also damals zufrieden losgewandert und auch bis nach Rom gekommen, hatte die Gastfreundschaft unzähliger Klöster und Pfarreien in Anspruch genommen, sich Gebirg und Süden betrachtet und sich in Rom zwischen allen den Kirchen und frommen Veranstaltungen sehr wohlgefühlt, Hunderte von Messen gehört und an den berühmtesten und heiligsten Örtern Andacht verrichtet und die Sakramente genossen und mehr Weihrauch eingeatmet, als für seine kleinen Jugendsünden und für die seines Vaters vonnöten war. Ein Jahr und länger war er ausgeblieben, und als er schließlich wiederkam und wieder ins väterliche Häuschen trat, empfing man ihn nicht wie den verlorenen Sohn, sondern die Schwester hatte sich inzwischen der häuslichen Pflichten und Rechte bemächtigt, hatte einen fleißigen Schreinergesellen eingestellt und geheiratet und regierte Haus und Werkstatt so vollkommen, daß der Heimgekehrte sich nach kurzem Aufenthalt dort als entbehrlich erkannte und von niemand zum Bleiben ermahnt wurde, als er bald wieder von Fortgehen und Reisen sprach. Er nahm es nicht schwer, ließ sich von der Mutter einige Spargroschen geben, schmückte sich wieder mit der Pilgertracht und trat eine neue Wallfahrt an, ohne Ziel, quer durchs Reich, ein halbgeistlicher Land fahrer. Kupferne Erinnerungs münzen an bekannte Wallfahrtsorte und geweihte Rosenkranze klirrten an ihm herab.
So traf er auf Goldmund, wanderte einen Tag mit ihm, tauschte Landfahrererinnerungen mit ihm, verlor
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