Narzissen und Chilipralinen - Roman
wieder typisch christlich«, flüstere ich Daniel zu. »Gerade haben wir darüber gestaunt, dass Jesus so locker drauf ist und den Hochzeitsgästen erstklassigen Wein verschafft. Und dann machen wir es doch wieder ohne Wein, weil’s irgendwie unchristlich ist. Das ist schizo, findest du nicht?«
Daniels Haare streifen meine Wangen, während er zurückflüstert. »Zwei Drittel der Leute hier sind minderjährig.«
»Aber wenn Michael glaubt, die würden sonst auch nichts trinken, irrt er sich, der Gute.«
»Umso wichtiger, wenn sie erleben, dass man auch anders feiern kann.«
Ich will ihm widersprechen, aber mir fällt ausnahmsweise nichts ein. Zumal ich an die Party denke, auf der ich mich nicht wohlgefühlt habe. Mandy war so aufgedreht, Tom ... na ja. Wie wäre der Abend verlaufen, wenn alle dort einfach nur Musik gehört und sich nett unterhalten hätten? Dann wäre auch nichts beinahe Peinliches vorgefallen und ich müsste mich jetzt nicht schämen wegen etwas, das nur in Kims Fantasie passiert ist. Gar nicht vorstellbar, eine Party ohne Alkohol. Hm. Warum eigentlich nicht? Warum ist das eigentlich so ungewöhnlich, dass es nahezu revolutionär klingt?
»Raclette ist öde«, murmelt jemand.
»Dann müssen wir das aber gleich dieses Wochenende machen«, meinen ein paar andere. »Bevor der Schnee wieder weg ist.«
»Und nachher eine Glüh-Party ohne glüh«, werfe ich in den Raum.
»Hä?«, rufen einige.
Ich fühle mich gerade angenehm revolutionär, als sich Daniels Finger mit meinen verschränken.
»Wie geht es deiner Schwester?«, frage ich leise. Nicht, um das Thema zu wechseln, wie man glauben könnte, sondern damit er weiß, dass ich ihn und seine Probleme nicht vergessen habe.
Daniel schüttelt den Kopf. »Keine Veränderung«, flüstert er.
Natürlich. Wenn es anders wäre, hätte er es mir längst erzählt. Dabei haben wir doch so intensiv gebetet! Ich auch. Nur weiß er nichts davon. Er glaubt, dass ich ohne ihn sehr viel Spaß hatte. Es ist nicht fair, dass er sich jetzt auch noch mit dieser Sache beschäftigen muss, mit Kims Lüge, die Kreise zieht. Ganz und gar nicht fair.
Schlimmer kann es nicht mehr kommen, doch es wird noch schlimmer. Denn nachher hält Tine auf mich zu und stellt eine einzige Frage, die eigentlich die schlimmste Frage von allen ist.
»Hast du es ihm gesagt?«
Sie schaut dabei nicht mich an, sondern Daniel, der neben mir steht. Ich steh im Moment auch irgendwie neben mir.
»Daniel weiß alles, ich hab keine Geheimnisse vor ihm«, sage ich und packe seine Hand, um ihn schleunigst von hier wegzuziehen. Leider kann ich nicht verhindern, dass sie mir nachruft: »Das hat er echt nicht verdient, und du weißt das!«
Der Himmel draußen ist sternenklar. Die Luft ist so kalt, dass unser Atem feine Wölkchen bildet. Bis zu unserem Haus sind es nur ein paar Schritte, deshalb gehen wir nicht auf unsere Haustür zu, sondern über den Parkplatz.
»Ich war nicht betrunken«, sage ich, doch noch während ich es sage, kommen mir plötzlich Zweifel. Ich hab schon was getrunken, am letzten Samstag, nur dachte ich, es wäre ohne Alkohol. Was, wenn doch was drin war? Bin ich deshalb mit Tom zusammen umgefallen? Reichte ein kleiner Anstoßer von Kim, um mich in den Schnee zu werfen, weil ich wackelig auf den Beinen war? Bin ich am Ende doch beschwipst gewesen und deshalb kam es mir verlockend vor, Tom zu küssen?
»Es hat überhaupt nichts zu bedeuten, dass ich Tom getroffen habe. Wir haben uns bloß unterhalten. Kim war da und meinte, sie hätte gesehen, dass da zwischen uns was läuft, aber du weißt, dass das Quatsch ist.«
»Ja«, sagt Daniel leise. »Natürlich weiß ich das.«
Ich spüre seinen Körper durch die dicken Jacken, als er mich an sich drückt. Sein Gesicht ist warm, sein Atem streift meine Haut. Plötzlich fühle ich mich so verliebt, dass mir schwindlig wird. Ich klammere mich an ihn und küsse ihn. Küsse ihn und küsse ihn und küsse ihn. Ich kann gar nicht mehr damit aufhören. Ich merke nicht, dass ich atme. Dass mein Herz schlägt. Dass die Stimmen der anderen laut werden, als sie auf den Parkplatz kommen. Dass sich Wolken über die glitzernden Sterne schieben. Ich weiß nur, dass ich Angst hatte und dass diese Angst sich langsam, während wir uns küssen, auflöst wie Schneeflocken auf brennender Haut.
»Oh nein«, stöhnte Finn. »Hat der Typ Nerven, seine Gang mitzubringen.«
Daniel stimmte ihm innerlich zu. Hatte Bastian doch tatsächlich seine Jungs
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