Narzissen und Chilipralinen - Roman
ernst, was ich sage«, flüstere ich und nehme seine Wangen zwischen meine Hände und küsse ihn. Wieder ist da so viel Angst in mir, ihn zu verlieren, nur weil ich ständig dumme Sachen sage oder tue, und so gerät dieser Kuss heftiger und leidenschaftlicher als sonst. Diesmal sind keine störenden dicken Jacken zwischen uns. Nur ein paar Schichten dünnen Stoffs, die es zulassen, dass ich mich ganz dicht an ihn herankuschele und seinen Körper dicht an meinem spüre. Papier raschelt, als wir unser Gewicht verlagern und tiefer auf den Teppich sinken. Die letzten Chips in einer offenen Tüte zerbröseln unter meinen Füßen. Ein paar weitere Bücherstapel kippen um. Ich weiß nichts davon. Ich fühle nur diesen Kuss, höre nur unseren heftiger werdenden Atem.
Dann ist es plötzlich hell. Tabita hat die Tür aufgerissen und steht wie ein Racheengel auf der Schwelle.
Ich blinzele ins Licht und mir wird klar, was sie sieht: ihre große Schwester und ihren Freund, die im Dunkeln auf dem Teppich liegen und knutschen. Also definitiv etwas, was kleine Schwestern auf gar keinen Fall sehen sollten.
Keiner von uns hat daran gedacht, die Tür abzuschließen.
»Kannst du nicht anklopfen?«, brülle ich, während Daniel und ich hastig auseinanderfahren und wir beide so tun, als wäre nichts gewesen.
Tabita schüttelt den Kopf. »Sonst geht’s dir noch gut, was?«, fragt sie und zieht endlich ab. Die Tür lässt sie offen.
Ich schalte das Licht ein. Daniel sitzt auf meinem Bett und streicht sich die Haare glatt. Ich könnte mich gleich wieder auf ihn stürzen, aber ich beherrsche mich.
»Lass uns rübergehen, zu den anderen«, sagt er.
»Ja, gut.«
»Du solltest dich noch kämmen.«
»Ja, mach ich.«
Ich glaube, wir haben uns soeben wieder versöhnt. Es hat sich jedenfalls ganz so angefühlt.
Meine Sonne
,
du bist die Schönste von allen. War ich blind, dass ich das früher nicht bemerkt habe? Dein Haar schimmert seidig im Sonnenlicht. Deine Haut ist wie Schnee. Du hast gelacht und gestrahlt und es war wie ein Pfeil, der durch mein Herz fuhr
.
Ich denke die ganze Zeit an dich, ich kann nicht anders. Immer, wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich vor mir
.
Glaubst du nicht auch, dass die Liebe ein Geschenk Gottes ist? Eben noch war alles wie immer ... und plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Es ist noch Winter, aber mir ist, als hätten wir plötzlich Frühling. Alles blüht und grünt und du bist die schönste Blume von allen
.
Ich stelle mir vor, dass ich Salomo bin und dich in meinem Palastgarten entdeckt habe. Kannst du dir vorstellen, wie überrascht ich war? Es ist wie ein Wunder, das in meinem Herzen geschehen ist und, wie ich hoffe, auch in deinem. Du bist nicht wie die anderen
.
Ich auch nicht
.
Da haben wir doch schon was gemeinsam, oder?
Die Liebe ist eine Glut, die vom Herrn kommt. Er hat dieses Feuer angezündet. Das hier ist von Gott, da bin ich mir sicher
.
Sehnsüchtig warte ich auf deine Antwort
,
dein Salomo
5.
»Warum machst du denn da mit, wenn du keine Lust hast?« Mandy kann sich keinen Grund vorstellen, etwas zu tun, was ihr gegen den Strich geht. Sie sitzt auf dem Tisch, lässt die Beine baumeln und hält den Kopf leicht schräg, sodass die Sonnenstrahlen, die das große schmutzige Fenster überwinden, in ihrem Haar funkeln. Mindestens die Hälfte der Jungs unserer Klasse glotzt gebannt zu ihr hin, aber sie tut, als merke sie es nicht.
»Ich weiß auch nicht«, sage ich lahm. Auch Kim schaut zu uns rüber. Ich finde ihren Blick irgendwie gruselig, aber so cool wie möglich ignoriere ich sie. Sie muss total eifersüchtig auf mich sein, weil Mandy so viel mit mir abhängt. Dabei hat Mandy ja gar nichts dagegen, weiterhin mit ihr befreundet zu sein. Wir zwei sind es, die nicht miteinander klarkommen.
»Wegen Daniel«, stellt sie fest.
»Ja«, gebe ich zu. Nur seinetwegen habe ich mich bereiterklärt, mich an Michaels Projekt zur Stärkung der Gemeinschaft zu beteiligen und »irgendwas mit Theater« zu machen. Was meine Eltern dazu sagen würden, ist mir nicht so wichtig wie Daniels Meinung. Er soll sehen, dass ich mir diesmal wirklich Mühe gebe. Schließlich ist er sogar bereit, bei der Kanutour mitzumachen, die auf Ende Mai angesetzt ist, direkt nach meinem Geburtstag. Er spricht nie darüber, aber ich glaube, er hat ein Problem mit Wasser. Trotzdem hat er sich für diese Tour angemeldet, weil ich den Aubach immer noch liebe. Und da soll ich mich querstellen und bei unserem
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