Narzissen und Chilipralinen - Roman
Er ist so von seiner Idee überzeugt, dass er uns alle damit ansteckt. Die meisten jedenfalls. Damit wir bis Ostern ein Programm auf die Beine stellen können, sollen die nächsten Jugendstunden dem Projekt dienen.
»Die Sänger üben dort drüben«, reime ich, als er fünf Mädchen in einen der Gruppenräume schickt.
»Die Musiker ... wer war noch alles dabei?«
Daniel wird mit seiner Gitarre etwas vorspielen. Ein Solostück, deshalb braucht er nicht mit den anderen zu proben. Michael bittet ihn trotzdem, den Instrumentalisten mit Rat und Tat beizustehen. »Die Deko- und Kochgruppe ... in die Küche, würde ich mal sagen.« Schließlich mustert er alle, die noch übrig sind. »Miriam, wer macht bei dir mit?«
Tine ist dabei und, was mich freut, Sonja. Dass die zwei Theater spielen können, ist mir neu, aber wir werden sehen. Die größte Überraschung ist Bastian. Er sitzt auf seinem Stuhl, knetet seine Pranken und kaut nervös auf der Unterlippe herum.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, murmelt er. »Ich glaub, ich kann gar nichts.« Hilfesuchend schaut er mich an, als wäre ich die Einzige, die ihn retten kann. Michael schlägt mir auf die Schulter und flüstert mir: »Du schaffst das« ins Ohr.
Na toll.
»Ja, also ...« Hilfe, das wird eine bodenlose Katastrophe! »Hat jemand eine Idee, was wir aufführen könnten?«
»Es muss natürlich etwas mit Ostern zu tun haben«, sagt Tine sofort. »Wir könnten die Kreuzigung spielen und die Auferstehung.«
»Aber Bastian ist der einzige Junge in unserer Gruppe«, meine ich. »Dann müsste er Jesus sein.«
Bastis Augen leuchten auf. »Echt?«
»Ja«, sagt Tine trocken, »und dann wirst du ans Kreuz genagelt.«
Seine Begeisterung sinkt rapide ab. »Oh.«
Ich merke es schon, das wird auf jeden Fall auf ein biblisches Stück hinauslaufen. Ich seufze, hole die Bibeln aus dem Schrank und drücke jedem eine in die Hand.
»Welches Evangelium?«, fragt Tine.
»Schlag eins vor.« Das funktioniert wunderbar: die anderen die Arbeit tun lassen. Sie blättern sich durch sämtliche Evangelien, auf der Suche nach einer spielbaren Geschichte, und ich muss nur dasitzen und auf Vorschläge warten.
Bastian fällt vor Aufregung die Bibel runter.
»Matthäus, Markus, Lukas ...«, murmelt Sonja vor sich hin. »Wo sind die?«, fragt Basti, der seine kostbare heilige Schrift wieder zwischen zwei Stuhlbeinen herausgefischt hat.
»Ich zeig’s dir.« Tine ist überraschend hilfsbereit. Sie schlägt für ihn das Matthäusevangelium auf und blättert sogar zur Auferstehungsgeschichte.
Basti fängt an zu lesen. »Das gibt’s ja nicht!«, ruft er so laut, dass wir anderen fast von den Stühlen fallen.
»Die haben gelogen! Diese Soldaten, sie wussten genau, dass Jesus auferstanden und weggegangen ist, und dann haben sie gelogen! Sie haben einfach behauptet, die Jünger hätten Jesus gestohlen!« Basti ist ehrlich empört.
»Das könnten wir ja spielen«, meint Tine besänftigend.
»Und einen Soldaten einbauen, der Gewissensbisse kriegt!«, ruft Sonja begeistert.
Basti nickt heftig. »Diese feigen Hunde! An ihrer Stelle hätte ich nach Jesus gesucht. Wenn sie doch wussten, dass er wieder lebendig ist. Sie haben die Engel gesehen, oder nicht? Und dann lassen sie sich einfach so einschüchtern?«
»Bestechen«, ergänzt Tine. Auch ihre Augen leuchten.
Basti kann sich gar nicht wieder beruhigen. »Wie kann man nur so lügen!«
»Da haben wir ja schon eine Geschichte«, sage ich. Die allgemeine Aufregung steckt mich an. Das hier ist nicht irgendeine Geschichte. Es geht um Menschen, die ein Wunder erlebt haben und sich dazu überreden lassen, es zu verschweigen. Schlimmer noch, eine Lügengeschichte zu verbreiten. Wie konnten sie das tun? Warum sind sie nicht sofort zu den Jüngern übergelaufen? Ruckzuck ist eine heftige Diskussion im Gange, die ich nur ungern abwürge.
»Kommen wir nun zur Verteilung der Rollen.« Sofort habe ich ihre Aufmerksamkeit.
Tine beobachtet mich unter den Wimpern hindurch, als warte sie darauf, mich bei einer Sünde zu ertappen. Es ist nicht schwer zu erraten, welche sie erwartet: die Sünde der Eitelkeit, die mich dazu bringen könnte, mir die beste Rolle zu schnappen. Den Hohepriester vielleicht. Ob sie den wohl gern selbst spielen würde? Fast bin ich versucht, einfach zu losen, aber das würde am Ende dazu führen, dass alle die falschen Personen zugeordnet bekommen und ein riesiger Murks entsteht, der den Zuschauern nicht beweist, was wir für
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