Narzissen und Chilipralinen - Roman
wochenlang darüber ärgern.
Hm. Passiert mir auch manchmal.
»He, Leonie, die meint dich!« Die anderen Mädels lachen und kreischen. Ich gehe hoheitsvoll dazwischen und zücke meine Visitenkarte.
»Ich?«, fragt das Schaf. Sie ist skeptisch, sie traut der Sache nicht. Aber ihre Freundinnen sind vollauf begeistert. Jede von ihnen möchte unbedingt in unsere Kartei. Fotografiert werden, gefilmt. Sie fangen an, Grimassen zu schneiden, mit den Augen zu klimpern, mit dem Hintern zu wackeln. Nur Leonie steht mittendrin und ist völlig durcheinander. »Ich?«, fragt sie bestimmt schon das zehnte Mal.
»Ja, du«, sagt Mandy, und da ich plötzlich gehemmt bin und den Mund nicht aufkriege, erteilt sie Anweisungen und lässt die arme Leonie auf und ab marschieren, wobei die Freundinnen ihre Jacke halten und neidisch zusehen. Ob sie es wohl später an ihr auslassen werden? Auf einmal ist mir ganz komisch zumute.
Das Mädchen geht bis zum Brunnen, während ihr die anderen gute Ratschläge zukreischen. Dann kommt sie zurück. Man merkt ihr nicht an, dass sie friert. Ihr Gang wird selbstbewusster. Sie umschifft die glatte Stelle, an der schon zwei unserer Kandidaten ins Rutschen gekommen sind, ohne Probleme. Ein winziges Lächeln glänzt in ihren Augen auf, das ihre Lippen nicht erreicht. Sie bleibt ernst, und ich ertappe mich dabei, dass ich sie anstarre. Auf einmal kann ich sie mir tatsächlich auf dem Laufsteg vorstellen. Oder auf dem Cover einer Zeitschrift. Sie hat etwas, finde ich, etwas Melancholisches, das irgendwie sexy ist, und in meinem Bauch ist ein komisches Grummeln, das mich wünschen lässt, das ganze Theater zu beenden und zu verschwinden.
»Mandy? Was macht ihr denn hier?«
Mandy lässt die Kamera sinken. »Basti?«
Bastian ist eine Art Kumpel von uns. Er war in die durchgeknallte Steffi verliebt und hat ihretwegen beinahe Daniel umgebracht, und von allen verrückten Dingen, die im vergangenen Herbst passiert sind, ist das vielleicht das Verrückteste: als Bastian mit Daniel ein Krankenhauszimmer geteilt hat, war er so schwer beeindruckt davon, dass Daniel ihn wie einen Freund behandelt hat, dass er nun auf dem besten Weg ist, auch Christ zu werden. Er kommt sogar jeden Donnerstagabend zum
Life and Hope
, unserer Jugendgruppe, und fragt Michael, unseren Jugendleiter, Löcher in den Bauch. Über Gott und Jesus, übers Beten und die Bibel. Seitdem dieser Schlägertyp-mit-Goldkettchen dort hingeht, versuche ich auch, keine einzige Stunde zu verpassen, denn irgendwie ist die Gruppe nicht wiederzuerkennen. Bastian mit all seinen Fragen wirft jede fromme Diskussion über den Haufen. Er zwingt alle zur Ehrlichkeit. Manchmal ist mir fast, als würde ich die Welt durch seine Augen betrachten, wenn er da ist, und wieder lernen, wie ein Kind zu staunen.
»Was macht ihr hier?«, fragt er noch mal. Er starrt auf die kichernden Mädels, auf Leonie, die verwirrt stehenbleibt, und dann bleibt sein Blick an mir hängen.
»Yvonne Holzer«, sage ich forsch und halte ihm eine Visitenkarte vor die Nase. »Ihr Gesicht würde wunderbar in unsere nächste Kampagne passen. Wenn Sie für unsere Kamera kurz bis zum Brunnen und zurück laufen würden, dann nehmen wir Sie in unsere Kartei auf.«
Bastian starrt und starrt. »Nee, das ist sie aber nicht, oder?«, fragt er schließlich an Mandy gewandt. »Oder?«
»Das ist Frau Holzer, von Miller und Johannsson«, sagt Mandy, aber ihr Grinsen verrät sie. Fast. Ich denke: Jetzt schnallt er es ... aber er schnallt es nicht.
»Bei denen bin ich auch unter Vertrag«, spinnt Mandy weiter. »Na los, bis zum Brunnen. Streng dich mal ein bisschen an, damit Frau Holzer merkt, dass du was drauf hast.«
Leonie springt zur Seite, als er losmarschiert. Für sie ist er natürlich bloß ein Kerl mit breiten Schultern und einem gefährlichen Gesicht. Er versucht nicht mal, wie ein Model zu gehen, wofür ich ihm dankbar bin. Stattdessen breitet er die Arme aus und dreht sich ein paar Mal. Seine Kumpels liegen vor Lachen fast auf dem Boden.
»Und?«, fragt er begierig. »Wie war das?«
»Unnachahmlich«, sage ich ernst und kritzele etwas auf mein Klemmbrett.
»He, und was ist mit Leonie?«, fragt eine von Leonies Freundinnen, aber Mandy beachtet sie gar nicht.
»Nun, Frau Holzer«, fragt sie mich todernst, »wie fanden Sie das?«
»Kaum zu glauben. Der vielversprechendste Kandidat seit langem. Dieses Gesicht ... diese Frisur ...« Ich kann nicht mehr an mich halten und pruste los.
»Sie ist
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