Narzissen und Chilipralinen - Roman
Feier hier in der Stadt, zu der sie nicht eingeladen ist? Wohl kaum. Ein scharfer Stich des Neides durchfährt mich. Sie hat zwar keinen Freund, aber dafür kann sie nach Herzenslust flirten und tanzen, während ich mit einem todtraurigen Daniel in dieser Bude hocke und beten soll.
Es gibt doch diese Cartoons, wo jemandem ein Engelchen und ein Teufelchen auf den Schultern sitzen. Das Engelchen will die Seele dazu bringen, das Richtige zu tun. Aber was wäre hier das Richtige? Kann Gott wollen, dass ich betend auf dem Teppich hocke, während draußen eine Party steigt? Mann, ich bin sechzehn und nicht sechzig, und als ich das letzte Mal in den Spiegel geschaut habe, ist mir auch kein Nonnengewand aufgefallen.
»Das wird dich ablenken«, versuche ich Daniel zu überreden. »Man kann doch auch zwischendurch immer mal wieder beten. Wenn du jede Minute ein Stoßgebet zum Himmel schickst, sind das sechzig Gebete in der Stunde. Sagen wir, wir bleiben vier, fünf Stunden da, dann sind es schon dreihundert Gebete. Das müsste doch reichen. Oder, falls du meinst, dass du es vergisst, könnte man ja auch immer dann, wenn ein neuer Song aufgelegt wird, beten. Dann wären das, wenn ein Lied drei Minuten lang ist, immerhin noch zwanzig Gebete pro Stunde.«
Daniel hat einen komischen Ausdruck im Gesicht, den ich nicht so recht deuten kann. Vermutlich hat ihm noch niemals jemand ausgerechnet, wie viele Gebete pro Stunde man hinkriegt, wenn man nicht durchgehend betet, sondern im Intervall.
Vielleicht könnte ich mal einen Kurs durchführen, Thema: »Intervall-Beten. So kriegst du Gott garantiert rum«. Klar, ich weiß, dass man Gott nicht durch Gebete rumkriegt. Aber warum sollte das dann mit einem Marathon-Gebet die ganze Nacht durch anders sein? Das wäre auch ein prima Kurs-Thema: »Marathon-Beten contra Intervall-Beten. Insider berichten aus der Praxis. Mit aktueller Gebetserhörungs-Statistik«.
Ich grinse vor mich hin und vergesse dabei ganz Daniels kranke Schwester.
»Geh ruhig«, sagt er. Seine Laune hat sich nicht wirklich gebessert.
Wahrscheinlich wäre es meine Pflicht als gute Freundin, neben ihm auf dem Teppich zu knien und mit ihm die Hände im Gebet auszustrecken. Bei ihm zu sein.
In guten und in schweren Tagen, denke ich. Ja, das würde ein Mädchen tun, das es verdient, seine Freundin zu sein. In mehr als einer Hinsicht komme ich mir heute wie eine Betrügerin vor. Denn ich habe nicht die Absicht, hierzubleiben. Das würde mich so deprimieren, dass ich irgendwann völlig durchdrehe. Zumindest in einem Streit würde das hier enden.
Also bin ich in gewisser Weise sogar besonders nett, weil ich mich jetzt aus dem Staub mache.
Partys im Winter sind tückisch. Weil man ständig friert. Man friert auf dem Weg dahin. Man friert, wenn man zwischendurch rausgeht, um frische Luft zu schnappen. Der Rock ist zu kurz, die Strümpfe zu dünn, das Oberteil zu knapp. Zu einer Party kann man ja schlecht einen Angora-Pullover, Jeans und Stiefel anziehen. Ja, auch die Füße frieren, wenn man sich aus dem Gedränge löst und durch den Schnee stolpert, um kurz einen Moment aus dem Trubel zu entkommen. Dann bleibt mein rechter Schuh auch noch in einer Schneewehe stecken. Mist, jetzt habe ich die Strümpfe im Schnee, sie sind sofort nass und kalt. Ich will gerade zu meinem Schuh zurückhumpeln, als jemand ihn aus dem Schnee fischt. Ein Jemand, den ich kenne.
»Hi«, sagt Tom. »Dich sieht man ja auch immer seltener.«
Dies wird garantiert nicht eine dieser dämlichen Geschichten, in denen die oberblöde Tussi sich nicht zwischen zwei Typen entscheiden kann. Ich bin mit Daniel zusammen. Definitiv. Dass ich jahrelang in Tom verknallt war, dass ich ihn angehimmelt habe, wenn er über den Schulhof ging, dass ich in meiner Schreibtischschublade ungefähr hundertzwanzig Gedichte lagere, die alle mit seinem Namen betitelt sind, das ist Vergangenheit. Genauso wie der Kuss, den er mir in angetrunkenem Zustand gegeben hat, in jener schrecklichen Sturmnacht, die Daniel fast das Leben gekostet hätte.
Nein, ich werde ganz bestimmt nicht mit Tom flirten und alten Gefühlen die Chance geben, wieder an die Oberfläche zu kommen.
»Hallo Aschenputtel«, sagt er und reicht mir den Schuh. »Wo hast du denn deinen Ritter gelassen?«
»Kreuzritter« ist Daniels Spitzname. Er kann ihn nicht ausstehen, aber irgendwie ist er an ihm hängengeblieben, dagegen lässt sich nichts machen.
»Der hatte keine Lust«, antworte ich, denn wenn ich lüge
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