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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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Offensichtliche ausgelegt. Hinter mir im Wasserbecken des Neptunbrunnens kreischen ein paar Möwen. Wie konnte ich sie vorher übersehen? Ein ganzer Schwarm zieht Kreise im Nebel, und diese Bewegung kratzt an einer Erinnerung.
    »Dotti.« Pauls ernster Gesichtsausdruck sorgte dafür, dass mein von den Schwankungen des Vaporettos ohnehin durchgeschüttelter Magen sich heftig umdrehte. Ich sah in die Augen des Mannes, mit dem ich seit zwei Jahren zusammen war, und hatte nur einen einzigen Gedanken: Nicht kotzen!
    Er räusperte sich, was die Situation keineswegs entschärfte, eher im Gegenteil. Wenn Männer sich räuspern, nachdem sie einen mit Vornamen angesprochen haben, ist die Lage ernst. Sehr ernst. Ein saurer Geschmack auf meiner Zunge ließ mich die Lippen fest aufeinanderpressen. Lieber nur ein verkniffenes Nicken als Antwort auf die unvermeidbare Frage als mein Mageninhalt im Canal Grande. Möwen in kleinen Gruppen umkreisten das Boot, als wären sie Paparazzi auf der Suche nach voyeuristischer Befriedigung. Ein nicht unbedeutender Teil von mir fragte sich unterdessen, ob meine Frisur so aussah, wie es die Situation erforderte, sprich: ob sie malerisch wie Kupfergold im Sonnenlicht leuchtete und im korrekten Winkel vom Fahrtwind zerzaust wurde. Ich würgte möglichst unauffällig.
    »Zu viel Salz?«, mutmaßte Rita einst, als ich mich im Kino beim Finale von
Pretty Woman
in ihre Popcorntüte übergeben hatte.
    »Nein«, lautete meine gekeuchte Antwort, »Happy-End-Allergie.«
    »
Dotti, ich muss dir was sagen.« Pauls Gesicht war mir zugewandt und damit im Schatten, während ich ins Sonnenlicht blinzelte. Vor lauter Sorge, dass etwas anderes als ein »Ja« aus meinem Mund kommen könnte, verzog ich nur die Mundwinkel zu einem zittrigen Lächeln. Löwenherz, schoss es mir durch den Kopf, Dorothy Löwenherz. Ich würde wie ein Held der Geschichte heißen. Meine Visitenkarten würden mit Fuchsiaranken bedruckt sein. Die Torte würde …
    »Also, äh, es ist so«, stammelte Paul. Seltsam, dachte ich, seit ich ihn kannte, hatte er nie gestammelt, weder vor noch nach dem ersten Date. Nicht mal im Bett während des Höhepunktes. Vorsichtshalber übte ich in Gedanken die Lautstärke und den Tonfall des »Ja«. Dazu stellte ich mir den richtigen Gesichtsausdruck vor und überlegte, ob ich schnell ein Tic Tac nachlegen sollte, falls es zum hollywoodreifen Happy-End-Kuss kommen würde. Allein die Vorstellung genügte, um eine weitere Welle der Übelkeit durch mein Verdauungssystem zu schicken. Willst du, Dotti, willst du, willst du? Ja, ich will. Ja, ich will. Ja, ich …
    »Ich habe jemanden kennengelernt. In der Politikwissenschaft. Ihr Name ist Susanne. Ich glaube, ich liebe sie. Wir sind im selben Diplomandenseminar.«
    Er grinste mich dämlich an, als würde das Wort
Diplomandenseminar
die ganze Absurdität dieser Aussage rechtfertigen. Mein Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen. Auch die Übelkeit war mit einem Schlag verschwunden. Einem Schlag, der präzise gesetzt war, genau gegen seine Wange. In dem Moment, wie vom Drehbuchautor so geplant, bog das Vaporetto scharf rechts in die Station Rialto ein. Mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen stürzte Paul unter dem Geschrei von Möwen und molligen Mammas über die Reling in den Canal Grande.
     
    »Wollen Sie nicht nachsehen?«
    Annili hält ihre Tragetasche mit der winselnden Orange umklammert und tritt neben mich an das Vogelhäuschen. Ich versuche, das klatschende Geräusch zu verdrängen, das mir in den Ohren klingt, strecke die Hand aus und öffne das Türchen der Futterstation.
    Zuerst ist es schwierig, etwas zu erkennen, da das wenige Licht gerade so die Umgebung der schmalen Öffnung erreicht. Ich zögere, meine Finger einfach so in das Holzhäuschen hineinzustecken, vielleicht weil ich mit einer zuschnappenden Mausefalle rechne oder einem ekligen Haufen Vogeldreck anstelle der Lösung des Rätsels. Als ich es doch tue, ertaste ich an der hinteren Wand Papier. Das muss es sein. Aufgeregt fische ich die Botschaft mit Zeige- und Mittelfinger aus dem Vogelhäuschen.
    »Was steht drin?«, erkundigt sich Annili. Ich starre das Papier in meiner Hand an und halte es so, dass auch meine Begleiterin sehen kann, was es darstellt.
    »Wundervoll«, flüstert sie verzückt, wogegen Orange kurz bellt und mit den Zähnen nach dem Ding schnappt. Ich hebe es über meinen Kopf, wo ein Windstoß es mir fast entreißt, während ein minimaler Spalt in der Wolkendecke

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