Naschmarkt
Recherche richtig war, stehe ich an exakt der Stelle, die djfleming mit seiner rätselhaften Botschaft im Riesenrad gemeint hat. So weit, so gut. Doch was jetzt?
»Wussten Sie, dass das der Ort ist, wo Kaiser Franz Joseph gefrühstückt hat? Sicher hatte er Guglhupf zum Kaffee.« Orange bellt freudig beim verheißungsvollen Klang der Mehlspeise. Annili hält ihr das Maul zu und zieht den Reißverschluss der Tragetasche zu. Hunde sind im Park verboten, aber sie hat darauf bestanden, das Tier mitzubringen. »Falls wir Hilfe brauchen.«
Mit ihrem cremefarbenen Hut und dem verschwörerischen Funkeln in den hellen Augen sieht sie fast ein wenig aus wie Miss Marple.
»Suchen wir eigentlich etwas Bestimmtes?«, fragt sie. »Wir könnten Oranges Spürnase einsetzen.«
Das wäre wohl nur von Erfolg gekrönt, denke ich im Stillen, wenn djflemings nächste Botschaft entweder in einem fetten Kuchenstück versteckt oder mit Schokotinte geschrieben ist. Der kleine Hund winselt aus der Tasche, während ich das Gebäude betrachte, das sich vor uns hell vom grauen Herbsthimmel abhebt.
Lorenz’ Weigerung, mir bei der Lösung des Rätsels behilflich zu sein, hat mich nicht davon abgehalten, es dennoch herauszufinden. Stellas griechischer Cousin Kosmás stellte sich zwar als schwer verständlicher, aber bestens informierter Geocacher heraus. Er wies mich an, zuerst Wien bei Google Maps einzugeben und einen Punkt auf der Karte zu suchen, der den Breitengrad achtundvierzig zehn einundvierzig hat. Eine fürchterliche Fummelei, verbunden mit Dutzenden Rechtsklicken, doch es war zu schaffen. Als ich das erledigt hatte, sollte ich die Karte ausdrucken und den Breitengrad durch eine waagrechte Linie zumindest ungefähr markieren. Anschließend müsste ich das Riesenrad im exakt richtigen Blickwinkel mit der Karlskirche verbinden und die Linie verlängern, bis sie sich mit der anderen überschnitt. Die klassische Kreuzpeilung eben.
»Die was?«, unterbrach ich den Redeschwall.
Dank Videotelefonie konnte ich Kosmás dabei zusehen, wie er die Augen verdrehte und ein griechisches Wort in seinen ansehnlichen Schnurrbart murmelte.
»Weiber«, übersetzte Stella mir, doch ehe ich protestieren konnte, fuhr der pixelige Video-Kosmás fort:
»
Siga, siga,
Dotti. Es ist ganz einfach. Du brauchst zwei Linien, um eine Koordinate zu bestimmen und den Cache zu loggen. Du hast den Breitengrad deines Mystery-Caches. Klar? Dir fehlt der Längengrad. Das ist schlecht. Aber du weißt, dass die Location von einem Punkt aus in bestimmter Richtung liegt. So viel hat dir der Owner verraten.«
»Der
wer?
«
»
Owner
wird der genannt, der den Schatz versteckt hat.«
»Und was bin ich?«
»Ein Muggel, so wie du dich anstellst.«
»War ja klar.«
»Willst du wissen, wo dein Cache ist, oder nicht? Also hör zu. Du kreuzt die beiden Linien auf deiner Karte, und, Bingo!, du hast deinen Punkt, zumindest ungefähr. Für die Suche im Detail wirst du allerdings einen Längengrad brauchen.«
Der Hügel, den wir erklommen haben, bietet normalerweise eine wunderbare Aussicht auf Wien. Doch nicht an diesem Tag. Dichter Nebel lässt die Stadt darunter kaum noch erahnen, und meine Finger, mit denen ich das iPhone bediene, sind klamm von der nasskalten Herbstluft. Es riecht sogar ein bisschen nach Schnee.
Annili, heute in grüne und violette Streifen gehüllt, steht am Rand des Brunnens, spricht leise und beruhigend auf ihre Tasche ein und blickt zu dem Gebäude, auf das wir zusteuern.
Ihr Angebot, mich zu begleiten, habe ich gerne angenommen und bin jetzt dankbar für die Gesellschaft. Irgendwie habe ich sie in den letzten Wochen liebgewonnen, mit ihrem großen Herz und ihrer klugen Lebenseinstellung. Fast jeden Tag sitzt sie nun im
Pies & Pages,
trinkt Tee mit viel Milch und hört sich Lady Lydias Geschichten an. Orange bekommt Kuchen, und für mich hat sie immer einen Ratschlag und ein Lächeln übrig.
»Kein Mann macht sich solche Umstände, wenn er nicht wirklich etwas im Kopf und im Brustkorb hat«, hat sie mir erklärt. »Sie sollten ihm eine Chance geben, Dotti!«
Mit erstaunlich forschem Schritt für ihre bald neunzig Jahre stapfte sie die letzten zwanzig Minuten neben mir her und erzählte dabei, dass das exakt der Treffpunkt ihres ersten Dates war.
»Damals hieß es freilich noch nicht Date, sondern Verabredung, und die Einladung wurde hochoffiziell in Gegenwart der Eltern ausgesprochen.« Kurz legt sich ihre Stirn in Falten.
Ich möchte sie gern
Weitere Kostenlose Bücher