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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Bettler packten und blutig schlugen, nur weil er ein Stück neben der Kutsche hergelaufen war und um ein Stück Brot gefleht hatte.
    »Außerhalb Messes ist das Leben so anders, dass du es dir kaum vorstellen kannst«, hatte Saiph zu seiner Herrin gesagt, als diese ihn einmal nach der Welt außerhalb ihres gewohnten Umkreises gefragt hatte. Damals war sie bereits einige Male in den ärmeren Stadtvierteln von Messe gewesen, hatte aber auch davon gehört, dass in den Gegenden zwischen dem Reich des Sommers und dem Reich des Frühlings die Situation noch sehr viel dramatischer sei.

    »Auch die Talariten bekommen die Not zu spüren«, hatte der Junge ein anderes Mal zu ihr gesagt, als sie eines Abends in die Sklavenunterkünften hinuntergestiegen war und ihn besucht hatte. Das tat sie häufig, und mittlerweile hatte sie ein besonderes Geschick darin entwickelt, unbemerkt durch die Gänge zu schleichen. Schon seit Jahren hatte sie niemand mehr entdeckt, wenn sie nachts heimlich im Palast unterwegs war. An jenem Abend hatte ein Femtit eine Ballade gesungen, die vom Leid und Not der Sklaven, aber auch von ihrer Sehnsucht nach Freiheit handelte. Saiph hatte ihr erklärt, dass die Sklaven bei ihnen im Palast zumindest ausreichend ernährt wurden, draußen jedoch sehr viele an Entkräftung starben. »Manche Talariten zwingen ihre Sklaven, für sie betteln zu gehen, und lassen sie selbst achtlos verhungern.«
    Diese Berichte hatten Talitha damals schon tief beeindruckt, doch erst jetzt wurde sie sich bewusst, wie dramatisch die Lage war. Durch das Leben in dem geschützten Umfeld ihres Palastes war sie nicht darauf vorbereitet, was sie hier mitansehen musste.
    Sie zog die Knie an die Brust und legte den Kopf darauf. Mit einem Mal kam ihr Talaria wie eine unbekannte Welt vor, ein Universum, in dem sie nur ein abgelegenes, privilegiertes Eckchen bewohnte.

    Am sechsten Tag ihrer Reise kam Larea in Sicht. Plötzlich öffnete sich der Tunnel aus Zweigen, die die Hauptader umkleideten, und ging in eine Straße über, die nur noch über einen Talareth-Ast führte. Dieser Talareth jedoch war völlig anders war als jene, die Talitha kannte. Die Rinde war von
dunklerer Farbe und tief durchfurcht von Maserungen, die grobe Rechtecke bildeten. Die Blätter hatten ausgefranste Ränder und waren so groß, dass eines den gesamten Körper eines Mannes hätte bedecken können. Auch die Krone sah anders aus: Bildete der Talareth in Messe eine fast perfekte Kuppel, so war dieser wilder gewachsen, mit einer Reihe von Ästen, die sich vielfach gewunden gen Himmel reckten, während andere in vielgestaltigen Spiralen zu Boden hingen. Am Stamm wuchs silbriges Moos, und zwischen den Zweigen wanden sich lange rötliche Lianen. Doch das Schönste war die Lage der Stadt: Larea erstreckte sich am Ufer einer großen Wasserfläche, dem Imorio-See. Hier lehnte sich die mächtige Krone des Talareths weit vor und streifte mit seinen längsten Ästen den Wasserspiegel, während auch die Wurzeln, die sich an die Felswand des Ufers klammerten, fast bis zum Wasser reichten. Larea breitete sich unter dem Talareth aus, lag in Teilen hoch oben auf den Felsen, in Teilen im Hinterland. An manchen Stellen schien sie fast am Stamm des Baumes zu zerschellen, wie eine Welle, die sich wieder mit dem Wasser des Sees vereinen will. Die Stadt selbst war weiß, genauso wie man es Talitha erzählt hatte: Alles bestand aus schneeweißen Steinen, mit denen man vorwiegend niedrige, breite Gebäude errichtet hatte, wie es im Reich des Frühlings Brauch war. Die ganze Stadt wirkte wie ein enormer Wasserfall aus Milch.
    Für die junge Gräfin war es ein Anblick, der sie sprachlos machte.
    Je näher sie kamen, desto deutlicher spürte sie aber auch, dass etwas seltsam war. Ein Teil der Stadt schien buchstäblich im Wasser zu liegen.
    »Ich wusste gar nicht, dass Larea auf Pfählen errichtet
ist!«, sagte ihre Mutter, während sie sich weit vorlehnte und plötzlich aufgeregt mit dem Fächer wedelte.
    »Das ist sie auch nicht«, antwortete Megassa, ohne auch nur eine Sekunde hinauszuschauen. »Seit drei Wochen steht ein Teil der Stadt nach einer Überschwemmung unter Wasser.«
    »Ach, das ist ja entsetzlich ...«, murmelte die Gräfin.
    »Solche Überschwemmungen hat es hier in letzter Zeit viele gegeben, und im Reich des Herbstes auch. Diese letzte hat zweihundert Tote gefordert, glücklicherweise alles Femtiten sowie ein paar Talariten von niedrigem Stand. Aber es ist doch zu komisch:

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