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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Schwester kam ihr noch viel erschöpfter vor als bei ihrer letzten Begegnung vor drei Monaten. Obwohl sie nicht weit von ihr entfernt lebte – gerade mal achthundert Ellen in der Höhe, im Kloster von Messe in der Astgabel des dortigen Talareths –, sahen sie sich immer seltener. Bis zu Lebithas Auszug waren sie beide trotz der sechs Jahre Altersunterschied immer füreinander da gewesen. Wenn Talitha nachts Angst gehabt hatte, war sie zu Lebitha ins Bett gekrochen, und dann hatte die Ältere sie in den Arm genommen und sie so lange gewiegt, bis der Albtraum vergessen war.
    »Geht es dir gut im Kloster?«, fragte Talitha sie.
    Lebitha zuckte mit den Achseln. »Ja, es ist eben das Leben, wie ich es nun gewohnt bin. Die Kleine Mutter wird langsam alt, und von allen Seiten hört man, dass ich bald an ihre Stelle treten soll.«
    »Und unser Vater bekommt genau das, worauf er die ganze Zeit aus war«, murmelte Talitha.
    »Nein, da irrst du dich. Der Weg zum Thron im Reich des Sommers ist noch weit: Bevor unsere Mutter den Thron besteigen kann, muss die Königin erst einmal sterben. Und dann wäre meine Stimme auch nur eine von zehn, die entscheiden. Auch die Wahl der anderen Klostervorsteherinnen müsste auf sie fallen.«
    »Wart’s nur ab: Unserem Vater wird es schon gelingen, sie auf seine Seite zu ziehen. Das ist doch sein großes Ziel, an dem er schon so lange arbeitet. Auch das Festmahl heute Abend, diese ganze Reise, selbst deine Anwesenheit dienen nur diesem einen Zweck. Er führt uns vor und lenkt uns wie
Spielfiguren. Ich hoffe nur, wenn er es geschafft und an der Seite unserer Mutter den Thron bestiegen hat, dass er dann endlich aufhört, uns so zu quälen.«
    Lebithas Gesichtsfarbe schien noch blasser zu werden. Talitha fielen ihre eingefallenen Wangen auf, ihr Haar, das nicht mehr so dicht wie früher war. Und sie hielt es für besser, dieses unselige Thema fallen zu lassen. »Sag mal, kannst du eigentlich oft den Himmel sehen?«, fragte sie stattdessen.
    »Ja, ab und zu schon. Aber du weißt ja, in seiner Gesamtheit darf ihn nur die Kleine Mutter schauen.«
    »Und ist es so fürchterlich, wie man sich erzählt?«
    Lebitha schwieg einige Augenblicke. »Ja, es ist ein ungeheurer Anblick. Miraval ist ein einziger herrlicher Feuerball, doch ihn anzusehen, tut den Augen so weh, dass man den Blick nicht direkt auf ihn richten kann, und Cetus neben ihm strahlt in einem so grellen Licht, dass es nicht zu ertragen ist.«
    Schon als kleines Mädchen hatte Talitha gelernt: Miraval ist das Abbild der Göttin Mira, der Mutter aller Götter, die es an den Himmel gesetzt hat, um die zerstörerischen Kräfte des niederträchtigen Cetus im Zaum zu halten. So verkörpern die beiden Himmelsgestirne die zwei gegensätzlichen Wesenheiten, Gut und Böse. Cetus bedroht die konstruktive Natur Miravals, die mit ihrer reinen vitalen Kraft antwortet. Die beiden Sonnen, die nebeneinander am gleichen Himmel stehen, verfügen über gleich starke, aber einander entgegengesetzte Kräfte, die sich daher, schon seit den Urzeiten, als Nashira entstand, in perfektem Gleichgewicht halten.
    »Aber dich zwingt doch niemand, in den Himmel zu blicken?« , fragte Talitha besorgt.
    »Nein ... aber es ist eben so, dass die größten Luftkristalle,
die also, die die meiste Atemluft für uns speichern, ganz oben im Talareth gehütet werden, wo die Zweige und das Blattwerk besonders licht sind. Da bleibt dir nichts anderes übrig, als in den Himmel zu schauen. Auch die Luft hat dort oben eine andere Beschaffenheit, es ist, als würde der Luftkristall ganz oben in der Krone zu viel davon an sich ziehen.«
    »Wirkst du deshalb so mitgenommen?«
    »Jetzt hast du mich drei Monate lang nicht gesehen, und schon krittelst du an meinem Aussehen herum?«, lachte Lebitha. »Pass nur auf, ich bin deine größere Schwester.«
    »Nein, du irrst. Du bist mein ältere Schwester, das ist etwas anderes.«
    Beide lachten fröhlich, und Talitha hakte sich bei der Schwester unter und legte den Kopf auf ihre Schulter.
    »Du hast mir so gefehlt ...«
    Lebitha streichelte ihr über die Wange. »Du mir auch. Ganz entsetzlich.« Einige Augenblicke standen sie so schweigend da, während jede die Anwesenheit der anderen genoss. Dann fragte Lebitha, wie es Talitha so gehe, und diese erzählte ausführlich von den Fortschritten, die sie als Kadettin bei der Garde machte.
    »Und wie geht’s Saiph?«
    »Er ist immer noch der Alte, du kennst ihn ja: Er wirkt viel braver, als er

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