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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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kleine Tür lag.
    »Ich lasse dich dann allein, einen schönen Aufenthalt bei uns, meine Liebe«, sagte Kalyma mit einem förmlichen Lächeln und ging davon.
    »Na, ist das nicht ein sympathisches Mädchen, meine Cousine...«, seufzte Talitha sarkastisch, als sie mit Saiph allein war.
    »Bitte, mach endlich die Tür auf. Ich kann deinen Kram nicht mehr länger halten.«
    Die junge Gräfin drehte den goldenen Knauf und stieß die Tür auf. Doch die neckenden Worte, mit denen sie Saiph hatte antworten wollen, erstarben ihr auf der Zunge.
    Vor dem Bett, in der Mitte des Raums, stand eine Frau. Sie hatte feuerrote Haare, die zu einem weichen Knoten geschlungen waren, und strahlend grüne, jedoch von tiefen Ringen umgebene Augen. Ihr langes rotes Gewand war in der Taille mit einem goldenen Gürtel gerafft. Trotz ihres mitgenommenen Äußeren war ihre Schönheit unverkennbar und ihr Lächeln auffallend sanft.
    Talitha vergaß alles – die Reise, die langweiligen Reden der Cousine, die Wut auf ihre Eltern – und rannte zu ihr.
    »Lebitha!«, rief sie und umarmte sie stürmisch.
    Lebitha streichelte ihr über das Haar.
    »Hallo, Schwesterherz. Wie geht’s?«

3
    S aiph war so klug, sich sofort zurückzuziehen und die beiden Schwestern allein zu lassen, zusammen mit der alten Priesterin, die Lebitha begleitet hatte. Diese Frau mit strenger Miene folgte Talithas Schwester auf Schritt und Tritt, wie es die Klosterregeln für die Orantinnen vorschrieben. Anfangs, als sie ins Kloster eingetreten war, hatte sich Lebitha nur schwer daran gewöhnen können, so wie an viele andere Pflichten auch, die ihr die Rolle als Priesterin des Luftkristalls auferlegte.
    Lebitha sah der jüngeren Schwester sehr ähnlich. Sie hatte die gleichen Augen, die gleiche Gesichtsform und eine gewisse Übereinstimmung im Lächeln und in den Gesten, obwohl die Jahre im Kloster ihre Bewegungen geprägt und sie bedächtiger und anmutiger gemacht hatten. Priesterin zu werden, war nicht ihre eigene Entscheidung gewesen, sondern ebenfalls eine Pflicht, die ihr mit der Geburt auferlegt worden war. Als älteste Tochter des Grafen Megassa war ihr Weg von klein auf vorgezeichnet. Und da sie eine starke Resonanz besaß – also die Fähigkeit, mit dem Kristall in Einklang zu treten –, war dieser Weg noch natürlicher für sie geworden. Talitha allerdings hatte den Morgen, an dem Lebitha zur Priesterin geweiht wurde und für immer aus dem Palast und ihrem Leben schied, als einen der schmerzlichsten Momente ihrer Kindheit in Erinnerung behalten.
    Die beiden Schwestern machten einen Spaziergang im
Park und genossen die frische Luft im Reich des Frühlings, ein besonderes Vergnügen, wenn man Tag für Tag in der Schwüle des Reichs des Sommers lebte.
    Der Park war weitläufig und sehr gepflegt, mit akkurat beschnittenen Hecken, die fast alle Tierformen nachempfunden waren, manche niedrig und kugelig, andere schlank und hoch aufragend, während die Bäume rechteckig gestutzt und unnatürlich ordentlich in geraden Reihen gepflanzt waren. Und überall gab es Wasser. Zahlreiche Kanäle durchzogen die Rasenflächen, manche ahmten in höchster Perfektion natürliche Bäche mit kleinen Wasserfällen und moosbewachsenen Felsen nach, und überall plätscherten Springbrunnen.
    »Und ich dachte immer, unser Vater sei besessen davon, mit seinem Reichtum zu protzen ... Und nun schau dir mal an, wie hier Wasser vergeudet wird«, bemerkte Talitha.
    Ihre Schwester lächelte müde. »Aber nein, hier kennt man keine Trockenheit«, erklärte sie, »Wasser gibt es hier mehr als genug. Wie ich hörte, ist das heute der erste schöne Tag seit fast zwei Wochen. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass es in dieser Gegend jemals so lange und so heftig geregnet hätte wie in diesen vergangenen Jahren. Du hast doch sicher die Überschwemmungsgebiete gesehen.«
    Talitha nickte ernst. »Ja. Aber auf der Reise ist mir noch mehr aufgefallen. All die vielen Leute, die sich bettelnd und hungernd die Straßen entlangschleppen! Ich hätte nie gedacht, dass es außerhalb von Messe solch eine Not, solch ein Elend geben könnte. Und unser Vater tut nichts, um diesen Ärmsten der Armen zu helfen. Ganz im Gegenteil.«
    Lebithas Miene verfinsterte sich. »Ich weiß. Bevor ich ins Kloster kam, habe ich auch nicht gewusst, dass die Lage so ernst ist, und ...«

    Ein Hustenanfall unterbrach den Satz.
    Talitha trat noch näher an Lebitha heran und streichelte ihr beruhigend über den Rücken. Die

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