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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zierlich Natascha Tschugunowa, wehmütig lächelnd und sich ab und zu leicht verneigend. Ihre Augen waren trüb, sie weinte nach innen, und während sie lächelnd die Orchideen aufhob, war es ihr, als höre sie nicht das Rauschen des Beifalls, sondern das Krachen des Eises auf dem Dnjepr, wenn sich die Schollen übereinanderschoben und gegen das Ufer drückten.
    Sie sah zur Seitenkulisse. Dort stand kein Luka. Sie hatte ihn ja weggeschickt. Aber es wäre schön, wenn er jetzt dastände, dachte sie, und ihre kleine Hand winkte zu den tobenden Menschen, ganz mechanisch tat sie es, und es sah rührend hilflos aus.
    In der Garderobe stand Luka in der Tür. Sein wütendes Gesicht war rot wie die rechte Hand, die er vorstreckte. Die Reporterinnen schluckten wieder, und es war still im Raum, als habe Luka jemanden umgebracht.
    »So ist's nun, Genossen!« sagte er laut. »Ich habe euch wieder gerufen. Alles hat sich geändert … eben, da draußen, ihr seht's!« Er hielt seine blutige Hand weit vor. »Nun sollt ihr alle wissen, wer Natascha Tschugunowa ist.« Er atmete tief auf und lehnte sich gegen die Tür. Dann riß er sich den Frack vom Leib und dehnte sich im zerfetzten Hemd, wie er es so oft getan hatte, wenn eine Arbeit vollbracht war.
    »In einem Winter war's«, sagte er. »Vor dem Krieg … Damals lebte Fedja noch. Wißt ihr, Fedja Iwanowitsch Astachow, der kleine Unterleutnant … Und es schneite seit Wochen … und wir mußten nach Smolensk … Fedja und ich … ein Geheimauftrag, müßt ihr wissen … Tja, und so begann es, Freunde … verteufelt kalt war's –«
    Fedja Iwanowitsch Astachow saß zusammengesunken hinter der vereisten Scheibe und fluchte. Vor ihm, durch ein dünnes Blech von seinen Füßen getrennt, rumpelte der Motor. Um ihn herum waren die Wolken auf die Erde gebrochen, heulten die Winde und trieben weiße, glitzernde Berge vor sich her. Schneesturm. Von der Taiga her brüllte der jährliche Tod über die Steppe. Die Wälder versanken, die Dörfer, die Stationen, Hügel und Senken … es wurde alles eine glatte, weiße, wirbelnde Fläche. Die Menschen verkrochen sich in die Hütten, verklebten die Fenster und Türen mit zusammengerollten Zeitungen und ließen sich zuwehen. Das Vieh legte sich zu den Menschen, mit hängenden Schädeln und traurigen, fragenden Augen. Ab und zu krachte es vom Wald her … dann sprangen die Stämme der Bäume auseinander, geborsten vom Frost, der ihnen im Mark saß. Nur die Wölfe waren unterwegs, ruppig, mager, heulend, verhungert. Sie lagen vor den Hütten und Ställen, sie umschlichen den Dunst, der nach Menschen und Tieren roch, sie lagen neben dem rauchenden Kamin, der als einziges aus dem Schnee ragte.
    »Schön ist das! Wirklich schön! Ein mistiges Land, ein mistiger Kommandeur, ein mistiges Leben … hol's der Teufel!«
    Fedja Iwanowitsch Astachow stellte den Motor ab und preßte die Arme eng an seinen dicken Lammfellmantel. Da lag er nun in der Steppe, mit einem kleinen Wagen, einem dunklen Punkt inmitten der weißen Weite. Hinten lag eine Mappe auf dem Sitz. Weiter nichts. Aber der Kommandeur hatte streng gesagt: »Unterleutnant Fedja – diese Mappe ist wichtig! Sie ist geheim! Du weißt, was geheim ist. Hast's ja auf der Kriegsschule in Moskau gelernt. Geheim ist, was wichtiger ist als das eigene Leben! Du weißt, Unterleutnant Fedja! Diese Mappe muß zu dem Genossen Oberst nach Smolensk. Oberst Werjowkin vom Generalstab! Nur ihm allein gibst du sie! Und wenn dich unterwegs jemand aufhält – es gibt noch reaktionäre Elemente bei uns, man soll's nicht glauben, im Jahre 1938 –, also wenn's so kommt, dann friß die Papiere! Laß sie nie aus den Augen, bewache sie wie dein Mütterchen, schlafe bei ihnen wie bei Bräutchen Nadja, leg dich auf sie … hahaha – nur liefere sie gut ab. Und nun fahr los nach Smolensk. Dawai –«
    Unterleutnant Fedja Astachow war losgefahren. Ein ehrenvoller Auftrag. Sonst wurden zu diesen Geheimkurierdiensten nur Offiziere abkommandiert. Aber Fedja war ein guter Soldat, der Beste seines Lehrganges auf der Kriegsschule. Und der Genosse General hatte sogar gesagt: »Fedja – aus dir wird noch einmal etwas. Wir werden uns dein Gesicht merken!«
    Glücklich war Fedja losgefahren, mit einem alten Geländewagen, die wichtige Tasche auf dem Hintersitz. Und Luka war dabei. Luka, ein Soldat aus Bordjanssk, einem Nest am Asowschen Meer. Er war Gefreiter, obwohl er schon dreißig Jahre alt war. Weiter kam er auch nicht … man

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