Natascha
nannte ihn allenthalben ›Luka, den Idioten‹. Aber er war stark. Ein Riese, einem Bär aus den Höhlen des Urals gleich, seine Muskeln rollten unter der Haut wie Kugeln und Keulen, sein breites Gesicht flößte Furcht ein, selbst wenn es grinste. Er war der Bursche des Kommandeurs, und wenn es einmal nicht weiterging, hieß es: »Wo ist Luka, der Idiot?« Dann kam er, spuckte in seine Hände, so groß wie Mühlsteine, packte zu und hob alles aus dem Dreck.
So war Luka auch jetzt mitgefahren. Er sollte auf die Tasche aufpassen, und ein bißchen auch auf Fedja Astachow. Man kann nie wissen … Fedja war zäh, aber schlank und fast zierlich. Er war jung, ganze zweiundzwanzig Jahre nur. Ein Milchbart, der sich nur einmal in der Woche zu rasieren brauchte. Also setzte man Luka, den Idioten, neben die Tasche, gab ihm eine kleine Flasche Wodka mit und war sicher, daß selbst der Teufel Reißaus nahm, wenn er von Luka die Tasche haben wollte.
Nun saß Luka zurückgelehnt und schlief. Er schnarchte, hatte den Mund offen, Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln in den Pelzkragen und gefror auf halbem Wege zum Hals. Wenn ein Zucken über sein Gesicht lief, brach die kleine Eisbahn neben seinem Kinn. Er merkte es nicht. Wenn ein Idiot schläft, schläft er richtig.
»Ein Mist ist das!« sagte Fedja wieder. Hinter ihm rührte sich Luka nicht. Er wußte gar nicht, was geschehen war. Er hatte sein Fläschchen Wodka liebgehabt und träumte nun von Darja. Er schmatzte im Traum, als küsse er sie ab, von oben bis unten. Man konnte das bei Darja. Sie war ein dickes Mädchen aus der Regimentsküche und, Gott sei's geklagt, ein Schweinchen. Aber Luka, der Idiot, liebte sie. Daß auch andere Männer aus dem Quell der Freude tranken, störte ihn nicht. Es machte ihn sogar stolz. Die anderen lachten ihn aus, aber wenn der Abend kam, lachte Luka. Dann gehörte Darja ihm allein … eine ganze Nacht lang, und es wagte niemand, dem Riesen Luka diese Nacht zu stehlen.
Davon träumte Luka jetzt. Und er seufzte im Traum. Fedja Astachow drehte sich auf seinem Sitz zu ihm herum.
»Heij!« brüllte er. »Luka! Aufwachen, du Schwachkopf! Die Vorderachse ist gebrochen! Wir sitzen fest.«
Luka wachte auf. Er spuckte aus, ehe er um sich sah, hinaus in die wirbelnde Weite, in den heulenden Wind und die zerberstenden Wolken, die Schnee, Schnee, Schnee über die Welt ausschütteten und sie fast erstickten.
»Das ist schlecht, Genosse Unterleutnant«, sagte er. Seine Stimme war ein Brummen. Sie grollte tief aus dem breiten Brustkorb herauf, genau wie ein Bär, der in der Höhle um sein Weibchen wirbt. »Achse kaputt … was nun?«
»Was nun?« Fedja zog die Knie an und schlug den dicken Pelz um seine Beine. Die Frontscheibe vereiste völlig, an der linken Wagenseite bildete sich ein Schneewall. »Das bleibt so eine Woche, zwei Wochen, weiß ich's? Aber die Tasche muß zu Oberst Werjowkin nach Smolensk.« Fedja nahm aus der Seitenklappe der Tür eine große Autokarte. Mit dem Zeigefinger fuhr er über Namen und bunte Linien. Luka beugte sich vor und sah über die Schulter seines Vorgesetzten.
»Hier ist unser Regiment«, sagte Fedja. Sein Finger lag auf dem Ortsnamen Schamowo. »Und dorthin müssen wir. Nach Tatarssk. Dort können wir eine neue Achse bekommen. Da ist eine Ersatzteilstation. Es sind etwa zwanzig Kilometer.«
»Und das ist viel?« fragte Luka.
»Bei diesem Schneesturm ist es weiter als der Mond! Zwanzig Kilometer Eiswind, Wölfe, Kälte … ein mistiges Land!«
Luka kaute an den zerbrochenen Stückchen seines gefrorenen Speichels. Er dachte nach. »Man sollte doch zu Fuß gehen!« sagte er endlich, während Fedja sinnlos die Karte studierte. »Wohnt denn niemand hier?«
»Irgendwo ist eine Kolchose mit ein paar Hütten. Aber wo? Sind wir denn noch auf der Straße?« Fedja öffnete die Tür ein wenig und sah hinaus. Der Schnee peitschte ihm ins Gesicht, schneidende Kälte riß an der Haut, bohrte sich in die Nasenlöcher, schlug wie mit Fäusten auf die Augäpfel. Schnell zog Fedja die Tür wieder zu. Plötzlich hatte er Angst. Er zeigte sie nicht … aber in der Tiefe seiner Augen war Trostlosigkeit, war die Öde der Steppe.
Luka nahm die wertvolle Tasche und drückte sie unter seinem Pelzmantel gegen die breite Brust. Mit seinen Beinen, zwei Säulen in hohen Filzstiefeln, stieß er die andere Tür auf und sprang hinaus in den heulenden Sturm. Im Nu war er weiß, klebte der Schnee an den Haaren seines Pelzes, überkrustete sein
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