Nayidenmond (German Edition)
Fertigkeiten, halfen bei der Ausbildung – dem Zerbrechen – der Jungen oder spionierten in den Hauptstädten, verborgen in dunklen Gassen, und erhaschten jedes Anzeichen von Unzufriedenheit, Aufruhr oder Rebellion, damit die Bruderschaft stets wusste, was im Land geschah.
Das Spionieren war angenehmer als alle anderen Optionen. Doch selbst das war kein Grund, das Dasein als Oshanta ertragen zu wollen. Iyen hasste es, seit er denken konnte, dem Leben der anderen zusehen zu müssen. Zu wissen, dass er davon ausgeschlossen war, es immer sein würde. Viele Oshanta wurden irgendwann des Wartens und Mordens müde und brachten sich selbst um.
Vielleicht sollte ich das ebenfalls tun, dachte er distanziert und wog innerlich alle Argumente ab, die dafür oder dagegen sprachen. Noch hatte er Hoffnung auf ein anderes Leben. Albern, aber nicht auszuschließen. Auch, wenn ich nichts anderes kann, als töten.
Iyen ließ seine Gedanken davonschwimmen, zu müde, um sie weiter zu verfolgen, und prüfte derweil seine zahlreichen Wurfdolche. In der Ferne beherrschte Wetterleuchten den südlichen Himmel, dort, wo Iyen das Baj-Gebirge vermutete. Das Gewitter würde sich nicht bis hierher in die Niederungen verirren, da war er sicher, egal wie sehr er sich nach Regen und Abkühlung sehnte.
Jarne stand auf und schlenderte zu Rouven hinüber, der in tiefen Schlaf gesunken war.
„Er ist hübsch“, sagte er zu niemand im Besonderen. „Schade drum. Er wird den Weg nicht schaffen. Wahrscheinlich sieht er nicht einmal den nächsten Sonnenaufgang.“ Er stieß mit dem Stiefel gegen Rouvens Kopf und schob ihn so, dass man sein Gesicht besser sehen konnte. Der Gefangene murmelte etwas, erwachte aber anscheinend nicht. „Wirklich, ein hübscher Junge.“
„Nimm ihn dir doch“, erwiderte Bero gelangweilt. „Er ist keine Frau, du darfst ihn haben.“
„Das könnte ihn umbringen“, murmelte Iyen. Er wusste, dass die Sache bereits entschieden war. Jarne verlangte selten etwas für sich persönlich, aber wenn, dann konnte ihn niemand mehr davon abbringen.
„Er wird sowieso sterben. Das Gift hat ihn zu sehr geschwächt,er kann diese Reise nicht schaffen. Wir sind angehalten, ihn lebendig zu übergeben, falls es misslingt, ist das kein Versagen. Wir sind nun mal Mörder“, versetzte Jarne ausdruckslos. Der Blick aus diesen kalten, grauen Augen ließ Iyen erschaudern, was ihn sehr irritierte. Auch, dass sein Magen sich zusammenkrampfte, verwirrte ihn. So viel hatte er doch gar nicht gegessen, dass ihm deshalb übel werden konnte?
„Wir müssen versuchen, den Auftrag zu erfüllen, Jarne.“
„Der ist gescheitert, sieh ihn dir an. Ich habe allerdings nicht vor, ihn umzubringen, nur ein bisschen spielen. Morgen reiten wir weiter. Mit oder ohne ihn.“
Inzwischen hatte Bero Rouven zu sich gedreht und die Decke fortgeworfen. Er löste die Fußfesseln, rangierte sich sein wehrloses Opfer passend, sodass es auf den Knien lag, das Gesäß emporgereckt.
„Ich habe eine bessere Idee!“, sagte er vielsagend grinsend. Währenddessen begann sich Rouven still zu regen. Iyen saß so, dass er ihm ins Gesicht sehen konnte.
Der umnebelte, verständnislose Blick des jungen Mannes klärte sich schlagartig, als ihm bewusst wurde, in welche Haltung man ihn gezwungen hatte.
„Iyen, du bringst die Pferde zum Fluss. Sie hatten nicht genug Wasser“, befahl Jarne. Sein Tonfall machte deutlich, dass jeder Widerspruch tödlich wäre. Iyen wandte sich gehorsam um und ging zu den Pferden hinüber, seltsam erleichtert, nicht mit ansehen zu müssen, was auch immer jetzt geschehen würde. Ein schriller Schrei ertönte in seinem Rücken, der Iyen durch Mark und Knochen schnitt.
„Hör nur, wie er quiekt! Wie ein Schwein!“
„Lass mich auch mal.“
„Geduld, er zappelt gerade so schön!“
Die Schreie verebbten zu qualvollem Wimmern. Während er mit den Pferden zügig zum Fluss schritt, warf er einen Blick über die Schulter. Er sah, dass Jarne aufstand und nun Bero zugange war, mit einer Brutalität, die er diesem sonst so leidenschaftslosen Mann nicht zugetraut hätte. Auch von Jarne hätte er nicht erwartet, dass er so etwas einem Lebewesen – egal ob Opfer oder nicht – antun könnte. Anscheinend waren die beiden sehr lange nicht mehr bei den Huren gewesen, die einzige Art Frau, die ein Oshanta haben durfte.
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