Nebel über dem Fluss
Anmeldung kauerte geduckt an der Wand, die Arme schützend vor dem Gesicht. Entweder er hatte sie mit dem Stuhl angegriffen oder er würde es gleich tun.
Howard, der Sicherheitsmann, spähte vom anderen Ende des Korridors mit zusammengekniffenen Augen angestrengt zu ihnen hinüber. Nancy wusste, dass er ohne Brille kaum die Hand vor den Augen erkennen konnte.
»He, Sie da!«, brüllte Gary ihr zu.
»Meinen Sie mich?«
»Genau. Ich will mit Ihnen reden.«
Natürlich, dachte Nancy, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Erst gestern war ihr zweiter Antrag auf Teilnahme an einem Fortbildungskurs als Lehrerin für Englisch als Fremdsprache, der es ihr erlaubt hätte, höflichen, korrekt gekleideten Geschäftsleuten in Hongkong oder Japan die englische Sprache beizubringen, abgelehnt worden. Heute Morgen hatte sie entdeckt – obwohl sie sich da getäuscht haben konnte, weil das so leicht nicht zu erkennen war –, dass eine ihrer Stabheuschrecken gestorben war. Und als wäre das nicht genug, war sie drei Tage überfällig.
Und jetzt das.
»Bei Ihnen waren wir doch schon das letzte Mal, Michelle und ich. Weil wir aus diesem gottverdammten Loch rauswollen, in das Sie uns verfrachtet haben.«
»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich mich darum bemühe –«
»Ich pfeif auf Ihre beschissenen Bemühungen. Tun Sie endlich was, verdammt noch mal. Und Sie dort drüben, halten sie sich bloß raus, sonst zieh ich der Ziege eins über, dass ihr für immer die Luft wegbleibt.«
Mit einem unterdrückten Aufschrei duckte sich Penny noch tiefer, und Howard wich zurück.
»Haben Sie einen Termin?«, fragte Nancy so ruhig es ihr möglich war.
Wieder warf Gary ihr einen Blick zu. »Was glauben Sie denn?«
»Gut, wenn Sie sich dann bitte gedulden wollen, bis ich das Gespräch mit den Klienten abgeschlossen habe, die gerade bei mir sind. Ich bin gern bereit, Ihren Fall noch einmal zu überprüfen.« Was sie da an amtlichem Geschwafel losließ, dachte Nancy, noch während sie sprach, klang, als wäre Englisch auch für sie eine Fremdsprache.
Gary schwang den Stuhl in einem Halbkreis herum und schlug ihn dicht neben Penny krachend an die Wand.
»Also schön«, sagte Nancy. »Dann reden wir doch gleich.«
»Ach ja?« Gary keuchte ein wenig. »Und was ist mit Clint Eastwood da drüben?«
»Howard«, sagte Nancy. »Es ist schon in Ordnung. Ich gehe mit Mr …«, sie sah Gary fragend an.
»James.«
»… ich gehe mit Mr James in mein Büro. Kein Anlass zur Sorge. Aber vielleicht können Sie sich ein wenig um Penny kümmern.«
Gary beobachtete sie unsicher. Diese Frau, die die Kontrolle übernahm, blieb ganz Herrin der Situation. Sie war kaum älter als er und schien überhaupt keine Angst zu haben. Groß, dachte Gary, gut eins siebzig, wahrscheinlich hatte es damit zu tun. Sieht gar nicht übel aus in ihrem schicken blauen Blazer und dem Faltenrock.
Als er nichts sagte, wandte sich Nancy ihrem Klientenpaar zu und erklärte den beiden, die neugierig vor die Tür gekommen waren, dass ein Notfall vorliege, um den sie sich kümmern müsse. Wenn sie bereit seien, einen Moment zu warten, werde sie aber gleich wieder für sie da sein, und dann könnten sie gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden. Sie gab ihnen etwas Kleingeld und schlug ihnen vor, sich inzwischen am Automaten im nächsten Stockwerk etwas zu trinken zu holen.
»Bitte«, sagte sie dann zu Gary und hielt die Tür zu ihrem Büro auf. »Nach Ihnen.«
Immer noch misstrauisch stellte Gary den Stuhl ab und trat ein. Nancy zögerte kurz. Bis zu diesem Moment war sie ihrem Instinkt gefolgt und hatte sich an das gehalten, was sie während ihrer Ausbildung gelernt hatte, um die Situation zu entschärfen. An sich selbst hatte sie keinen Momentgedacht. Erst jetzt wurde ihr bewusst, in welche Gefahr sie sich vielleicht begab. Hastig warf sie einen hilfesuchenden Blick zum anderen Ende des Korridors, dann trat sie energisch in ihr Büro und schloss die Tür.
4
»Sperren Sie ab«, sagte er.
»Wie bitte?«
»Sperren Sie die Tür ab.«
Nancy, der ein wenig heiß geworden war, fragte sich, worauf sie sich da eingelassen hatte. »Es verstößt gegen die Vorschriften …«, wandte sie ein, hielt aber inne, als sie bemerkte, dass Gary immer wütender wurde und kurz davor war, den nächstbesten Gegenstand im Zimmer kurz und klein zu schlagen. Ohne ein weiteres Wort zog sie die kleine Schublade rechts in ihrem Schreibtisch auf und nahm den Schlüssel heraus.
Kaum hatte sie
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