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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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rechten Hand entfernt. Und genauso weit von seiner. Sie bewegte vorsichtig die Finger, um nach dem Schlüssel zu greifen, aber als sie seine Reaktion sah, hielt sie augenblicklich inne.
    »Nein«, rief sie betont gelassen zurück, »ich glaube, das geht jetzt nicht. Im Augenblick nicht.«
    Bailey gab Zeichen, dass draußen vor dem Gebäude Verstärkung eingetroffen war. Gleich würde Resnick die Leute die Treppe herauflaufen hören.
    »Gary«, sagte er, »das ist Ihre einzige Chance. Kommen Sie freiwillig heraus, bevor wir Sie mit Gewalt herausholen müssen.«
    »Hören Sie auf ihn«, beschwor Nancy ihn.
    »Ich weiß nicht.« Gary fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe. »Ich weiß einfach nicht, Scheiße.«
    Seine Stimme zitterte, er erinnerte Nancy an ihren kleinen Bruder, als er mit zwölf dabei erwischt worden war, wie er ihrer Mutter Geld aus dem Portemonnaie genommen hatte. Ganz langsam, so dass er sehen konnte, was sie tat, ergriff Nancy den Schlüssel mit Zeigefinger und Daumen, stand auf und ging die vier Schritte bis zur Tür.
    »Okay, Gary?« Sie sah sich nach ihm um.
    Als sie aufsperrte und die Tür weit aufstieß, stürmten sie herein, Bailey, Hennessy und zwei andere, packten Gary und rissen ihn herum. Sie drückten ihn an die Wand, stießen ihm die Füße auseinander, bis er mit gespreizten Beinen stand, und zerrten ihm die Arme auf den Rücken, so dass sie ihm die Handschellen anlegen konnten.
    »Alles in Ordnung?« Resnick berührte Nancy leicht an der Schulter.
    »Das habe ich Ihnen doch die ganze Zeit gesagt. Alles in Ordnung.« Sie war zur Seite getreten und stand mit verschränkten Armen da, während sie sich bemühte, ihrenAtem unter Kontrolle zu bringen. Als Gary in den Korridor hinausgeschubst wurde, wandte sie sich ab, sie wollte sein Gesicht nicht mehr sehen.

5
    Wie geht’s zu Hause?, hatte Resnick sich erkundigt. Lynn lächelte bitter, schaltete herunter und setzte den Blinker, um links abzubiegen. Einigermaßen gut, hatte sie geantwortet. Wie schlecht es wirklich ging, ließ sich daran messen, wie ihre Mutter mit zusammengepressten Lippen am Herd gestanden, die Tränen zurückgehalten und den letzten Weihnachtspudding gerührt hatte. Nur Tage vor dem Fest. Sonst warteten immer schon Ende Oktober mindestens drei Puddinge in ihren weißen Formen fertig im Schrank.
    »Ich habe Angst um deinen Vater, Lynnie«, war alles, was sie sagte.
    Lynn fand ihn beim Hühnerstall, lustlos, eine unangezündete Zigarette lose zwischen den Lippen, Furcht im Blick.
    »Dad, was ist denn los?«
    Ausgerechnet in der Hauptverkaufszeit war die Elektroanlage zur Betäubung der Vögel vor der Schlachtung ausgefallen, und bis man sie zwei Tage später gerichtet hatte, waren mehrere tausend Pfund verloren gegangen. Das weit Schlimmere für ihren Vater aber war, dass einige hundert Mastkapaune bei lebendigem Leib mit kochendem Wasser übergossen worden waren, man hatte ihnen die Hälse durchschnitten und die Federn gerupft, ehe die Panne überhaupt bemerkt wurde. Nacht für Nacht erwachte er um vier Uhr morgens mit ihren Schreien im Ohr. »Ach komm, Dad«, hatte Lynn gesagt, »du kannst es nicht mehr ändern.«
    Sie hätte merken müssen, dass das nicht das Einzige war.Am Tag ihrer Abreise traf sie ihn bei Morgengrauen in der Küche, die Hand um einen Becher dunklen Tees geschlossen. »Ich war beim Arzt, Lynnie. Er sagt, ich muss ins Krankenhaus, zu einem Spezialisten. Es ist etwas mit dem Darm.« Er hatte sie über den Tisch hinweg angestarrt, und Lynn war aus dem Zimmer gerannt, bevor er sie weinen sehen konnte.
    Es war kurz nach vier Uhr nachmittags und es begann schnell dunkel zu werden, trotzdem konnte man das in Riesenlettern geschriebene Graffito an der Fassade neben dem Asia-Laden noch gut lesen.
Weihnachten muss weiß bleiben – Verpisst euch nach Hause.
Lynn warf einen Blick auf die Straßenkarte und wendete noch einmal.
     
    Michelle war noch nicht lange zu Hause. Die Busse warenüberfüllt gewesen mit Menschen, die vom Einkaufen nach Hause fuhren, und Angestellten, die ihren Arbeitstag mittags im Pub beschlossen hatten. Sporadisch waren vom Oberdeck laute Gesänge zu hören, meist respektlose Parodien von Weihnachtsliedern. Ein rothaariger Mann, noch in Briefträgermontur, hockte mit lang in den Gang ausgestreckten Beinen auf seinem Platz und führte Kartenkunststücke vor. Als der Bus um den Kreisverkehr am Ende des Gregory Boulevard schlingerte, beugte sich ein Mann im grauen Nadelstreifenanzug

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