Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
geworden.«
Christoph sah auf. »So? Wer denn?«
Große Jäger griente ihn an. »Das bekommst du auch mit Joker nicht
heraus. Günther Jauch. Der beweist seit Jahren, dass er alles weiß. So sind wir
eben, wir Münsteraner.«
»Ich denke, du bist naturalisierter Nordfriese?«
»Ich bin Weltbürger. Es wäre schade für die Menschheit, wenn jemand
wie ich nur einer einzigen Region gehören würde.« Mühsam erhob er sich. »Mit
einem Kieler kann man nicht vernünftig reden. Ich hole mir jetzt einen Kaffee
bei Tante Hilke.«
Dann verließ er das Büro.
Christoph sah ihm mit einem Lächeln hinterher. Wer den knorrigen
Mann mit der rauen Schale nicht kannte, ahnte nicht, welch weites Herz sich
darunter verbarg. Sein Äußeres mit der fleckigen Lederweste, in der Große Jäger
ein Einschussloch wie einen Orden trug, der schmuddeligen Jeans, deren Gürtel
vom überhängenden Schmerbauch nahezu verdeckt wurde, und dem roten Holzfällerhemd
passte zu den selten gewaschenen dunklen Haaren, in die sich in den letzten
Jahren immer mehr silbergraue Strähnen eingeschlichen hatten. Die dunklen
Bartstoppeln waren kein gepflegter Dreitagebart. Der Oberkommissar erachtete es
als Zeitverschwendung, sich jeden Morgen zu rasieren.
Christoph wandte sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch
zu. Der Einbruchserie musste jetzt mit vermehrtem Einsatz seiner Beamten
begegnet werden. Er legte die Meldung an die Seite. Dieser Punkt würde in der
Dienstbesprechung des Teams eine herausragende Rolle einnehmen. Er wurde durch
das Schnarren seines Telefons abgelenkt. Es meldete sich eine Kollegin des
Husumer Polizeireviers aus demselben Haus.
»Wir haben einen Anruf über einen Zwischenfall auf dem Ostfriedhof erhalten«,
sagte die uniformierte Beamtin, »und eine Streife hingeschickt. Die melden
einen außergewöhnlichen Fall einer vermutlichen Grabschändung. Wir haben
gedacht, dass es etwas für Sie wäre.«
»Ist die Streife noch vor Ort?«
»Die warten auf eine Antwort.«
»Wir kommen«, sagte Christoph und überlegte, welchen Mitarbeiter er
hinschicken könnte. Er beschloss schließlich, die Sache selbst anzusehen, und
zog seine Jacke über.
»Schon wieder Feierabend?«, sagte Große Jäger und stieß einen Fluch
aus, weil er in der Tür mit Christoph zusammengestoßen war und nur mit einem
gekonnten Sidestep verhindern konnte, dass der überschwappende Kaffee auf seine
Jeans kleckerte.
»Ich will zum Probeliegen auf den Ostfriedhof.«
»So plötzlich?« Er musterte Christoph mit spöttischem Blick von oben
bis unten. »Zu sehen ist nichts. Geht es mehr um den inneren Verfall? Oder hat
sich deine Frau beschwert? Ach ja«, schob er nach, als wäre ihm plötzlich etwas
eingefallen. »Anna bekommt ja eine gute Witwenrente aus deiner Pension. Da werde
ich mich um sie bemühen müssen.« Dann wurde er ernst. »Um was geht es?«
Christoph berichtete vom Anruf der Schutzpolizei.
»Ich komm mit«, entschied Große Jäger, stellte seinen Kaffeebecher
ab, nachdem er zuvor einen großen Schluck genommen hatte, und fing fürchterlich
an zu japsen. Als er wieder Luft bekam, schimpfte er: »Das lernt Tante Hilke
nie. Ich muss mir mal den Trick verraten lassen, wie die das Wasser mehrere
hundert Grad heiß bekommt.«
Wenig später saßen sie in Christophs Volvo und fuhren am Bahnhof
entlang, der im Unterschied zu vielen anderen Stationen ein kleines
Schmuckstück war, und passierten in der Herzog-Adolf-Straße Große Jägers
Wohnung in einem der Mehrfamilienhäuser aus den Anfängen der sechziger Jahre.
Merkwürdig, dachte Christoph, wir sind nicht nur ein gutes Team –
dabei bezog er Harm Mommsen und dessen Partner Karlchen ebenso mit ein wie
seine Frau Anna –, sondern verkehren auch privat miteinander. Aber in all
den Jahren ist noch nie irgendjemand in Große Jägers Wohnung gewesen.
Am nächsten Kreisverkehr bogen sie rechts ab und ließen den ZOB seitlich liegen.
»Wer sich das ausgedacht hat«, brummte Christoph. »Da steigt doch
nie jemand ein.«
»Ich weiß nicht, wie es mit den Schülern ist«, erwiderte Große
Jäger.
»Die stehen doch alle am Bahnhof. Aber das hier …« Er
schüttelte den Kopf. »Das ist genauso wie mit der Parksituation in Husum.
Schön, es gibt Angebote, aber wenn ich an den Erichsenweg denke, graust es mir.
Das war ein beliebter Platz für Leute, die aus der Umgebung gekommen sind und
etwas länger als zwei Stunden in der Stadt bummeln wollten. Für ein paar
lausige Cent hat man dort
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