Nebelriss
Gelächter verebbt. Die Blicke wanderten besorgt zum Brunnen, wo Kaiser Akendor sich das Haar zurückstrich und seine Kleidung zurechtrückte. Wie zuvor die Blätter trieb es nun die Paare auseinander, erhoben sich die Liegenden vom Boden. Jeder spürte, dass das Fest zu Ende gegangen war. Und kalt war es plötzlich geworden im Garten; unwillkürlich griffen sie nach ihren Umhängen und Überwürfen, die Jungadeligen, deren Aufgabe es war, den Kaiser glücklich zu machen, soweit dies möglich war. Ergeben half Ceyla ihm, vom Brunnen herabzusteigen. Ihre kleine Hand umklammerte seinen Ellenbogen. »Ich muss gehen«, sagte Akendor leise.
Ceyla lächelte. Die Sonne strich über ihre hübschen Gesichtszuge und färbte ihre Locken rot. »Mein Kaiser«, flüsterte sie, »kann ich nichts für Euch tun, gar nichts?«
Ein drahtiger, rotbärtiger Mann näherte sich ihnen. Er hielt einen zusammengelegten roten Mantel in den Händen, entfaltete ihn und wartete mit ausgebreiteten Armen auf Akendor. Es war Garalac, der Leibwächter des Kaisers, ein Söldner aus Troublinien. Noch nie hatte Ceyla ihn einen Ton sagen hören; manche hielten ihn für stumm. Sein Blick war zum Fürchten, denn seine wässrigen Augen schielten, und immer wieder kniff er sie grundlos zusammen, sodass Ceyla vor Ekel erschauderte.
Akendor strich Ceyla über den Handrücken. »Lass mich heute Nacht nicht allein«, sagte er leise. Dann wandte er sich ab und lief los. Anfangs taumelte er stark, den Wein im Blut; doch Garalac stützte ihn. So eilten sie zum Palast, und Ceyla blieb zurück, um unter den neidvollen Blicken der anderen ihr Kleid zu ordnen. »Reiche mir die Kutte«, sagte Magro Fargh. Er fuhr sich mit der faltigen Hand über den kahlen Schädel, der übersät war mit dunklen Flecken und Adern, kniff die winzigen Augen zusammen, halb erblindet, und sein vergilbtes Gesicht füllte sich mit Leben, »reiche mir die Kutte, Bruder«, mit jener hohen, schrillen Stimme, die Nhordukael niemals vergessen konnte.
›Auf die Knie mit dir,
hatte sie einst geschrieen,
›Beine werde ich dir machen,
damals, als Nhordukael ein Kind gewesen war, ein Junge mit wüstem Haar und großen stummen Augen,
›Demut sollst du üben, Staub sollst du fressen und Tathril danken, deinem Herrn,
so hatte sie ihm in den Nacken gezischt; er spürte noch die Tritte in den Magen, der vor Hunger schwer war wie ein Stein, er spürte noch, wie sich sein ausgedorrter Hals zusammenzog,
›Beten sollst du, Nichtsnutz, beten und dein Haupt zu Boden senken‹,
schrill unerträglich gnadenlos, während die Schläge auf seinen Kopf niedergingen …
Nhordukael schritt zur Truhe und öffnete sie. Das weiße Gewand des Priesters lag sorgsam geordnet bereit. Vorsichtig ergriff Nhordukael den grün bestickten Saum und zog das Gewand in die Höhe. Die Seide knisterte unter seinen Fingern.
… er sah die weiße Gestalt vor sich, ihre rot glühenden Augen, der hassverzerrte Mund,
›In die Reihe, elende Würmer, die ihr nicht den Schmutz wert seid, in dem ihr steht,
neben ihm die anderen Novizen, über ihnen die stechende Sonne, in ihren Händen lederne Eimer voll Schlamm, die sie die Straße entlang schleppten; sah sich mit bloßen Füßen über den Kies wanken, spürte die spitzen Steine unter den Fußsohlen, sah sich zusammenbrechen, spürte eine Hand im Nacken, die seinen Kopf brutal zum Himmel bog,
›Sieh seine Herrlichkeit, sieh Tathrils Größe‹,
ein fauliger Atem,
›Faulpelz, wie kannst du es wagen, ihm zu trotzen, ihm, Tathril, deinem Herrn‹,
und die rote Sonne brannte unerbittlich seine Wunden aus …
Würdevoll schritt Nhordukael zu dem alten Priester hinüber. Er verbeugte sich und strich das seidene Gewand glatt. Schwer atmend richtete Magro Fargh sich auf und streckte die knochigen Arme aus. Behutsam streifte Nhordukael ihm das Gewand über.
Ein Lächeln umspielte den schmalen Mund des Greises. »Ich danke dir, Bruder«, sagte er und zupfte sich die Ärmel zurecht, »sitzt sie gut?«
… er spürte die Fesseln um seine Handgelenke, roch den Rauch der Nebelkräuter, der ihm die Sinne raubte, rang nach Luft, und hörte wieder die Stimme neben sich,
›Lerne Tathrils Macht kennen, glückliches Kind, schmecke sie, nimm sie in dir auf‹,
der Schmerz in seinem Hirn, während die Luft nach ihm griff, ihn durchtränkte, die Kraft, die seine Adern kochen ließ,
›Wenn du dich wehrst, wird Tathril dich vom Angesicht der Erde tilgen‹,
so brüllte die Stimme, und er spürte unter
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