Nebelsturm
Nicken. Er konnte seinen Blick nicht von der Zeichnung abwenden. Er hatte solche Hefte durchaus schon einmal gesehen, ihm war aber nie aufgefallen, wie schön die Zeichnungen vom Paradies in ihnen waren.
»Ich würde gerne in diesen Bergen da leben«, sagte er.
Frische Bergluft, er hätte dort auch mit Katrine leben können. Aber die Insel, auf die sie gezogen waren, hatte keinen einzigen Berg, sie war vollkommen flach. Und es gab auch keine Katrine mehr …
Plötzlich hatte Joakim Schwierigkeiten zu atmen. Er beugte sich vor und spürte, wie die Tränen ihn überwältigten.
»Geht es … Geht es Ihnen nicht gut?«
Er schüttelte den Kopf, legte seine Stirn auf den Tisch und ließ den Tränen freien Lauf. Nein, ihm ging es gar nicht gut. Er war nicht gesund, er litt an dünn geschnittenem Knochenfieber .
Oh, Katrine … und Ethel …
Minutenlang weinte und schniefte er hemmungslos, isoliert von der Außenwelt. In weiter Ferne hörte er flüsternde Stimmen und das zaghafte Scharren von Stuhlbeinen auf dem Boden, aber er konnte seine Tränen nicht aufhalten. Er spürte, wie sich eine warme Hand auf seine Schulter legte und dort ein paar Sekunden verweilte, bevor sie wieder weggenommen wurde. Kurz darauf fiel die Eingangstür leise ins Schloss.
Als es ihm schließlich gelang, durch die Tränen hindurchzublinzeln, war er wieder allein. Draußen startete ein Wagen.
Das Heft mit den Menschen und Tieren auf der Wiese lag noch auf dem Tisch. Nachdem die Motorengeräusche verstummt waren, schluchzte Joakim noch einmal laut auf und betrachtete ein letztes Mal die Zeichnung.
Er musste etwas unternehmen. Irgendetwas.
Mit einem müden Seufzer erhob er sich vom Tisch und warf das Heft in den Mülleimer unter der Spüle.
Es war vollkommen still im Haus. Er ging durch den Flur in das leere, unmöblierte Wohnzimmer und betrachtete lange die Farbdosen, Flaschen und Stofflappen, die auf dem Boden aufgereiht waren. Katrine hatte ganz offensichtlich begonnen, die Fensterrahmen mit Soda zu reinigen.
Sie hatte bezüglich der Inneneinrichtung sehr konkrete Vorstellungen gehabt, ganz anders als Joakim. Unter anderem hatte sie auch alle Zimmerfarben, Tapeten sowie Holzdetails ausgewählt. Das Material war bereits gekauft und lag auf dem Boden an den Wänden entlang und wartete auf seinen Einsatz.
Joakim seufzte.
Dann schraubte er eine Flasche Soda auf, nahm sich einen Lappen und begann konzentriert, die Fensterrahmen zu säubern.
Das reibende Geräusch des Lappens am Holz des Rahmens klang trostlos in der erdrückenden Stille des Raumes.
Drück nicht so fest, Kim , hörte er Katrine sagen.
Dann kam das Wochenende. Die Kinder waren zu Hause und spielten in Livias Zimmer.
Joakim war fertig mit den Fensterrahmen im Wohnzimmer, und für diesen Samstag hatte er sich vorgenommen, das südwestliche Eckzimmer zu tapezieren.
Nach dem Frühstück hatte er einen Eimer mit Tapetenkleister angerührt.
Es war eines der kleineren Schlafzimmer, in dem ein etwa hundertundzwanzig Jahre alter Kachelofen in der Ecke stand, so wie in den meisten Zimmern. Die Blumentapeten, die fast alle Zimmer geschmückt hatten, schienen aus dem beginnenden20. Jahrhundert zu stammen, waren aber leider zu beschädigt, um sie erhalten zu können. Sie waren übersät mit Wasserflecken, und an einigen Stellen hing die Tapete nur noch in langen Streifen von der Wand. In dem Eckzimmer hatte Katrine sie bereits Anfang des Herbstes abgerissen und die Wand geschliffen und gespachtelt und für die geplante Tapezierung vorbereitet.
Katrine hatte dieses Eckzimmer sehr gemocht.
Aber Joakim wollte sich nicht in Erinnerungen an sie verlieren. Er wollte gar nicht denken, sondern nur tapezieren.
Zunächst hob er die zinkweißen Tapetenrollen auf den Tisch; es war dieselbe englische, handgefertigte Papiertapete, die sie auch in der Apfelvilla verwendet hatten. Dann griff er nach dem Tapetenmesser und dem langen Lineal und begann, die Bahnen auf die gewünschte Länge zu schneiden.
Katrine und er hatten immer zusammen tapeziert.
Joakim seufzte, fuhr aber mit seiner Arbeit fort. Man durfte sich nicht unter Druck setzen lassen, dann wurde Tapezieren zu einer Art Meditation. Er war ein Mönch, und der Hof war sein Kloster.
Nachdem er die ersten vier Bahnen an der schmalen Stirnseite des Raumes angebracht und die Luftblasen mit einer Bürste ausgestrichen hatte, hörte er ein schwaches dumpfes Geräusch. Er stieg von der Leiter herab und horchte. Das Geräusch
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