Nebelsturm
blieb im Laden jedoch unvermittelt stehen.
So viele Lebensmittel, so viel Reklame.
Ein Zettel an der Fleischtheke pries DÜNN GESCHNITTENES KNOCHENFIEBER, NUR 79,90 DAS KILO.
Knochenfieber? Er musste sich verlesen haben, hatte aber gleichzeitig Angst zu überprüfen, was tatsächlich auf dem Plakat stand. Verunsichert verließ er den Laden.
Joakim hatte keine Kraft, Essen einzukaufen.
Er war zum Hof zurückgefahren, hatte die erdrückende Stille des Hauses betreten und sich Mantel und Stiefel ausgezogen. Dann hatte er sich ans Fenster gestellt. Er hatte keine anderenPläne, als so lange wie möglich hier am Fenster stehen zu bleiben.
In einer Schüssel auf dem hellen Holz der Küchenbank lag ein vergessener Salatkopf. Hatte er oder Katrine ihn gekauft? Er konnte sich nicht erinnern. In den vergangenen Tagen hatte der Salat in seiner Plastikhülle begonnen, schwarz zu werden. Verwesung in der Küche war kein gutes Zeichen, er sollte ihn entsorgen.
Aber er konnte nicht.
Er warf einen letzten Blick auf die graue Welt, das monotone Wasser, den trüben Himmel und fasste einen neuen Plan: Er würde sich ins Bett legen und nie wieder aufstehen.
Joakim ging ins Schlafzimmer und warf sich quer auf das gemachte Bett. Er starrte an die Decke. Katrine hatte die hässlichen Holzfaserplatten entfernt und die darunterliegende, pappebespannte Zimmerdecke wieder freigelegt, die vielleicht sogar noch aus dem 19. Jahrhundert stammte.
Die Decke war schön, als würde man unter einer weißen Wolke liegen.
Da hörte er ein leises Klopfen in der Stille. Harte Knöchel gegen klapperndes Glas.
Joakim hob den Kopf.
Schlechte Nachrichten? Er erwartete nur noch schlechte Nachrichten.
Das Klopfen ertönte erneut, energischer als zuvor.
Es kam von der Küchentür.
Langsam erhob er sich vom Bett.
Durch die Glasscheibe der Tür sah er zwei dunkel gekleidete Personen auf der Treppe stehen.
Ein Mann und eine Frau in Joakim und Katrines Alter. Der Mann trug einen Anzug, die Frau einen dunkelblauen Mantel und darunter ein Kleid. Sie lächelten ihm freundlich zu, als er die Tür öffnete.
»Hallo«, begrüßte ihn die Frau. »Wir heißen Filip und Marianne. Dürfen wir reinkommen?«
Er nickte und öffnete ihnen die Tür. Gehörten die zum Bestattungsinstitutaus Marnäs? Er erinnerte sich nicht an sie, allerdings hatte er in den vergangenen Wochen auch mit vielen verschiedenen Angestellten zu tun gehabt. Und alle waren besonders freundlich zu ihm gewesen.
»Oh, wie schön Sie es hier haben«, rief die Frau begeistert, als sie die Küche betrat.
Auch der Mann sah sich wohlwollend um, nickte und wandte sich dann an Joakim.
»Wir sind gerade auf einer einmonatigen Rundreise hier auf der Insel«, erklärte er.»Wir haben gesehen, dass jemand zu Hause ist.«
»Wir wohnen hier das ganze Jahr über … ich mit meiner Frau und unseren beiden Kindern«, erzählte Joakim. »Möchten Sie Kaffee?«
»Vielen Dank, aber wir nehmen kein Koffein zu uns«, dankte Filip und setzte sich an den Küchentisch.
»Wie heißen Sie?«, fragte Marianne. »Darf ich Sie das fragen?«
»Joakim.«
»Joakim, wir möchten Ihnen gerne etwas geben. Etwas Wichtiges.«
Marianne holte etwas aus ihrer Tasche und legte den Gegenstand vor Joakim auf den Tisch. Es war ein Heft.
»Schauen Sie es sich in Ruhe an. Ist es nicht wunderschön?«
Joakim betrachtete das dünne Heft vor ihm. Auf der Vorderseite war eine Zeichnung, die eine grüne Wiese unter blauem Himmel darstellte. Auf der Wiese saßen ein Mann und eine Frau in weißer Kleidung. Der Mann hatte ein Lamm in seinen Armen, die Frau umarmte einen großen Löwen. Sie lächelten einander an.
»Ist das nicht paradiesisch?«, fragte Marianne.
Joakim sah zu ihr auf.
»Ich hatte immer gedacht, dass dieser Hof das Paradies sei«, erwiderte er. »Jetzt nicht mehr, aber bis vor Kurzem war es das.«
Marianne sah ihn einige Sekunden lang verwirrt an. Dann lächelte sie erneut.
»Jesus ist für uns gestorben«, sagte sie. »Er starb für uns, damit wir es so schön haben können.«
Joakims Augen weilten wieder auf der Zeichnung, er nickte.
»Ja, wunderschön.« Er zeigte auf die gewaltigen Berge im Hintergrund. »Tolle Berge.«
»Das ist das Himmelreich«, erklärte Marianne.
»Wir leben weiter nach dem Tod, Joakim«, warf Filip ein und beugte sich dabei über den Tisch, als würde er ihm ein großes Geheimnis verraten. »Das ewige Leben … das ist doch phantastisch?«
Auch das beantwortete Joakim mit einem
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