Nebeltod auf Norderney
und war sparsam. Er war ein gut aussehender junger Mann, kräftig und groß gewachsen. Seine Touren führten ihn kreuz und quer durch die BRD und das benachbarte Ausland, denn seine Firma fuhr für die Olympia AG in Wilhelmshaven.
Dodo Wilbert hatte in der Stadt an der Jade glückliche Jahre verlebt. Er fühlte sich dort wohl, dennoch übte die Insel Baltrum eine merkliche Anziehungskraft auf ihn aus. Vielleicht waren daran die Kindheit und die unvergesslichen Jahre mit seiner Mutter schuld, wenn ihn auch mit seiner Stiefmutter, seinem Vater und seinen Halbschwestern ein gutes Verhältnis verband, das aber im Laufe der Zeit verblasste. Sie lächelten abwertend, wenn er von der Insel schwärmte, die er im Stillen immer als seine eigentliche Heimat empfand.
Dodo Wilbert nahm nicht teil an der wachsenden Anzahl der Urlaubsreisenden, die vor allem in den Süden ans Mittelmeer fuhren. Er ließ sich von seiner Spedition, was damals noch Gang und Gäbe war, den Urlaub ausbezahlen. Im Gegensatz zum Ausgeben schloss er sich dem Heer der Bausparer an und tat das, was in den Jahren zu einer Modekrankheit geworden war: Er träumte vom eigenen Häuschen und sparte das Grundkapital an.
Als Nächstes kaufte er ein Grundstück auf der Insel. Deshalb kann im Nachhinein gesagt werden, dass Dodo Wilbert den richtigen Riecher hatte, als er 1965 mit dem Bau eines Einfamilienhauses mit drei Fremdenzimmern für Urlaubsgäste auf Baltrum begann. Seine fälligen Bausparverträge erleichterten ihm die Finanzierung. Das restliche Kapital bekam er günstig bei der Stadtsparkasse Norden.
Als gelernter Maurer packte er mit an, wann immer es ihm die Zeit erlaubte. Ansonsten vergab er die Aufträge an Handwerker, die auf der Insel wohnten, und behielt sich für seine Eigenleistungen die Arbeiten vor, die er alleine leicht erledigen konnte.
Da es auf Baltrum keine Straßennamen gibt und die Häuser nur nummeriert werden, konnte die Lage des entstehenden schicken Neubaues wie folgt beschrieben werden. Er befand sich zwischen zwei mit Gras bewachsenen Dünenhügeln in der Nähe der Strandhalle am breiten Fußweg zum Strand. Er hatte die Hausnummer 456.
Nach Baltrum hatte es auch Johann Heynen gezogen. Er war als junger Pädagoge auf die Insel gekommen. Er liebte das Meer, und zu seinen Hobbys zählte die Beobachtung der Natur. Er stammte aus Marienhafe und wurde nach dem Studium und der Referendarzeit in Oldenburg an die einklassige Grundschule auf Baltrum versetzt. Zu den Einstellungsbedingungen zählte neben dem Nachweis einer musikalischen Begabung das Spielen eines Instrumentes. Eine weitere Bedingung seiner Einstellung war die Heimatpflege und der weitere Aufbau des Heimatmuseums.
Der junge Lehrer war von stattlicher Statur. Er hatte dunkelblondes, lockiges Haar, ein forsches, spitzes, gut geschnittenes Gesicht und wirkte sehr sympathisch. Er liebte weite Spaziergänge und hatte Sport als Nebenfach gewählt. Die Gemeinde Baltrum stellte ihm ein kleines Haus zur Verfügung. Seine Kollegin war eine etwas verschrobene, unverheiratete Lehrerin, die aber mit den Kleinen gut auskam.
Schnell lernte Johann Heynen das Leben auf der Insel kennenund fand besonders im Winter auch einen herzlichen Kontakt zu den Eltern seiner Schüler. Es sprach sich schnell herum, dass er nicht nur ein guter Lehrer, sondern auch als Mensch in Ordnung war. Der Apotheker, der Inseldoktor und Bürgermeister luden ihn zum Skatabend ein, der einmal in der Woche am Freitagabend im Café »Nordseeblick« für eine angenehme Unterhaltung sorgte. Selbst in der Saison war den Herren der Abend heilig.
Im Herbst und Winter bediente oft die hübsche Tochter Okka die Skatrunde, die dem angesehenen Lehrer den Kopf verdrehte. Sie arbeitete in Esens als Kindergärtnerin und wohnte am Wochenende zu Hause.
Johann Heynen vergaß den kalten Herbstabend nie, an dem er eine halbe Stunde früher als sonst, also um 19 Uhr 30, am Tisch im Café Platz nahm und sich in die Zeitung vertiefte. Er errötete leicht, als Okka Klien hinter dem Tresen erschien und ihn fragend ansah.
»Bringen Sie mir eine Portion Tee«, hatte er gesagt und nervös im »Ostfriesischen Kurier« gelesen.
Eine Gruppe junger Männer betrat das Café. Sie grüßten freundlich und setzten sich in die Nähe des Kamins. Es waren Handwerker vom Festland.
Das Café Nordseeblick lag an der Strandpromenade. Es war Flut. Der Wind heulte um das Café. Er wehte mit Stärke 7 aus östlicher Richtung. Die Wellen brachen sich
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