1322 - Das Grauen von St. Severin
Man hatte ihn an einer anderen Stelle aufgestellt. Klammheimlich und bei Nacht und Nebel hatte er einen entsprechenden Platz an der Kirche St. Severin bekommen, als wollte er dort all die Toten bewachen, die in der Erde des nahen Friedhofs lagen.
Bisher hatte sich Claas Claasen geweigert, hoch zur Kirche zu gehen, um sich den Mönch anzuschauen. Er war zu oft auf ihn angesprochen worden. Er wollte nicht mehr.
Die innere Unruhe war stärker. Sie hatte ihn letztendlich aus dem Haus getrieben, was seiner Frau Anja überhaupt nicht gepasst hatte. Auf der Türschwelle noch hatte sie ihn festgehalten und ihn gewarnt.
»Denk daran, Claas, was alles passiert ist und denk bitte auch an deine Familie.«
Er hatte es versprochen und war dann gegangen. Er hatte zudem noch mit dem Gedanken gespielt mit Silke von Weser zu sprechen, die auf der Insel und besonders in Keitum so etwas wie eine Heimatforscherin, Fremdenführerin und Buchautorin war, doch das hatte er gelassen. Er musste Manns genug sein, um dies allein durchzuziehen. Es kam eben nur auf die innere Einstellung an.
So setzte er sich in seinen Mercedes und fuhr vom Parkplatz in den Ort hinein, wo er nach links abbog und nur Sekunden später die Kreuzung erreichte, an der er rechts abiegen musste, auf eine Straße, die in Richtung Kampen führte und die praktisch die Kirche und den Keitumer Friedhof tangierte.
Es war nicht Tag, es war nicht Nacht. Allerdings hatte sich die Sonne schon zurückgezogen. Über den Himmel zogen erste graue Schatten. Im Westen über der freien See glühte der Himmel, als wären Engel dabei, einen Feuerofen hinter sich herzuziehen.
An diesem Abend war alles anders. Da wollte sich Claas Claasen endlich die Bestätigung holen. Auf seiner hohen Stirn hatte sich Schweiß gesammelt, den er nicht wegwischte, denn er würde sowieso wiederkommen. Er fuhr langsam, was gar nicht seine Art war, aber Claasen brauchte auch nicht lange im Wagen zu sitzen, denn der Turm der Kirche rückte immer näher.
Sylt im Sommer. Das bedeutete auch Hochbetrieb, obwohl die ganz große Zeit noch nicht angebrochen war. Die großen Ferien in den Bundesländern begannen erst später, aber das tolle Wetter hatte bereits zahlreiche Gäste über den Hindenburgdamm hinweg auf die Insel gespült, die jetzt, am Abend, durchatmen konnte. Da saßen die meisten in den Lokalen, um Abend zu essen. Sie hockten auch in den Gärten zusammen, freuten sich über die leichte Kühle, über einen glatten Himmel und auch über die Wettervorhersage, die sehr gut klang.
An der Kirche gab es einen größeren Parkplatz. Der aber lag auf der anderen Seite des Gebäudes. Dort fuhr der Hotelier nicht hin.
Auch an der Vorderseite konnte er seinen Wagen abstellen. Auf einem nicht geteerten Weg, der in das freie Feld hineinführte.
Claas stieg aus.
Ein kurzer Blick auf das Watt, das an dieser erhöhten Stelle gut zu sehen war. Darüber lag der Himmel wie eine breite Decke, die allmählich eingraute. Wer sie so sah, konnte den Eindruck bekommen, dass sie hinein in die Unendlichkeit führte.
Claasen schlug die Fahrertür zu. In der Stille war der Knall überlaut zu hören. Claas zuckte zusammen und fühlte sich wie ein Störenfried, der den nahen Toten auf dem Friedhof die Ruhe nahm.
Er hatte den Mönch noch nicht gesehen, doch er wusste, wo er hingehen musste. So machte er sich auf den Weg. Es war nicht so warm wie in den Städten. Ein kühler Abendwind strich über die Insel hinweg. Den spürte auch Claas. Er ließ den Stoff seines kurzärmeligen Hemdes flattern, aber er trocknete nicht den Schweiß auf seinem Gesicht. Einige Tropfen hatten sich auf die Gläser der Brille verirrt. Mit einem Taschentuch wischte er das Glas ab.
Claas Claasen hatte seinen Wagen nicht auf dem Kirchengelände abgestellt. Er musste ein paar Schritte gehen, um es zu erreichen und er merkte schon, dass ihm die Knie leicht zitterten, was an seiner inneren Aufgeregtheit lag.
Die Stille wurde von Motorengeräusch unterbrochen. Die beiden Porsche rasten in Richtung Kampen und benutzten die Fahrbahn als Kennstrecke. Der Wind fegte das Röhren weiter, so dass Claasen bald wieder von der typischen Stille eines abendlichen Friedhofs mit Kirche umfangen wurde.
Er musste ein Gebüsch passieren, sah vor sich eine freie Fläche, auf der grauer Staub und graue Steine lagen, richtete den Blick nach vorn und zugleich etwas nach rechts.
Da stand er!
Claasen schnappte für einen Moment nach Luft. In der Herzgegend spürte er
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