1102 - Assungas Blutfalle
Cathy hatte sich schon recht früh verabschiedet, um ins Bett zu gehen. Sie war müde, was bei ihr selten vorkam, denn normalerweise traf sie sich am Abend noch mit ihren Freunden und Freundinnen. Eine Clique Jugendlicher, die sich schon seit Jahren kannten.
Sharon Ambler hob den rechten Arm. Es sah behäbig aus. Sie unterdrückte auch den Wunsch, an die Tür zu klopfen. Statt dessen tat sie etwas, was ihrem Naturell eigentlich widersprach, denn auch wer in einer Familie lebte, hatte ein Recht darauf, mal ungestört zu sein.
Sharon klopfte nicht.
Sie öffnete die Tür ohne Vorwarnung.
Im Zimmer brannte noch Licht. Es war gut, es war schlecht, es war auch normal.
Und diese Normalität schockte die Frau, denn sie offenbarte ihr das Grauen…
***
Mit einem derartigen Anblick hatte Sharon nicht gerechnet. Es war einfach der reine Wahnsinn und nicht zu fassen. Sharon redete sich ein, daß es ein Alptraum sein mußte. Andererseits wußte sie genau, daß sie nicht träumte und dieser Schrecken real war.
Cathy saß in ihrem Bett. Allerdings quer und mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Sie trug noch ihre normale Kleidung, die Jeans und den bunten Pullover. Ihr dunkles Haar klebte glatt am Kopf, das Gesicht sah sehr blaß aus, obwohl es von roten Spritzern gezeichnet war.
Rot war das Blut.
Und das sah Sharon überall. Auf dem Bett, an den Wänden. Es klebte auf dem Boden. Es war auf die hellen Gardinen gespritzt und hatte auch auf dem Schreibtisch Flecken hinterlassen. Sie wunderte sich, daß sie es nicht an der Decke sah, ansonsten sah das Zimmer der Sechzehnjährigen schrecklich aus.
Sharon bewegte sich ebensowenig wie ihre Tochter, aber sie sah gebannt hin. Cathy war so etwas wie ein Magnet, sie selbst das Stück Eisen, das von diesem Magneten angezogen wurde.
Cathy hielt etwas zwischen ihren Fingern. Es war ein blutiger Katzenkörper, ein toter zudem, der Kopf der kleinen Katze hing zur Seite herab. Sharon wußte nicht, wie Cathy das Tier getötet hatte, aber sie war noch nicht fertig, denn was sie nun tat, obwohl ihre Mutter sie beobachtete, war einfach nicht zu fassen.
Das junge Mädchen hielt den Kadaver mit beiden Händen fest. Sie führte ihn gegen ihren Mund und leckte das Blut ab, mit dem das Fell getränkt war. Immer wieder schob sie ihre kleine Zunge hervor.
Sie schlürfte das Blut. In der Stille klangen diese Geräusche so unwahrscheinlich laut. Sie hörten sich eklig an, einfach widerlich und grauenvoll, so daß Sharon den Mund verzog.
Sie hatte noch immer kein Wort gesprochen, und sie wußte auch nicht, ob sie überhaupt geatmet hatte. Das Zimmer der Tochter war ihr so fremd geworden. Sie gehörte nicht mehr in die Wohnung hinein, ihr Leben hatte einen Riß bekommen, und sie konnte auch nicht mehr länger hinsehen. Etwas trieb sie von der Türschwelle weg. Hätte sich die Frau jetzt im Spiegel gesehen, wäre sie nicht mehr als ein bleiches Gespenst gewesen. Sie irrte durch den Flur und wußte, daß es allerhöchste Zeit wurde, die Toilette zu erreichen. In ihrem Magen drückte sich der Ekel hoch. Ihr war schlagartig schlecht geworden. Die Tür zum Bad riß sie hart auf und spürte sogar noch den Windzug, so nahe wischte sie an ihrer Stirn vorbei. Ihre Rettung war die Toilette. Sie wuchtete den Deckel in die Höhe, fiel auf die Knie und übergab sich.
Sharon erlebte eine schlimme Zeit. Ihr war so widerlich übel, daß sie immer wieder nachwürgen mußte und schließlich totenbleich vor der Toilette sitzenblieb.
Ihr Gesicht war mit kaltem Schweiß bedeckt. Auch ihr Körper war schweißnaß. Sie rang nach Luft, ihr Puls raste und in den Ohren spürte sie ein Sausen. Sie blieb erst einmal sitzen. Immer wieder kam etwas von ihrem Magen hoch, und sie spie den Rest in die Toilette hinein.
Luft holen. Den Kreislauf stabilisieren. All das war in diese Lage wichtig. Nur nicht daran denken, was sie in Cathys Zimmer gesehen hatte. Sharon konnte es noch immer nicht fassen. Nach wie vor glaubte sie an einen schrecklichen Irrtum, aber sie wußte zugleich, daß es keine Einbildung gewesen war. Ihre Tochter hatte tatsächlich im Bett gesessen und das Blut ihrer toten Katze abgeleckt.
Es gab für Sharon keine Erklärung. Sie war vor drei Monaten 40 Jahre alt geworden. Sie hatte auch schon einiges in ihrem Leben gesehen, doch so etwas nicht. Das sprengte alle Grenzen. Das war überhaupt nicht erklärbar oder zu fassen.
Sharon wußte nicht, wie lange sie vor der Toilette gesessen hatte und vom kalten
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