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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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genau genommen interessierte es ihn auch nicht.
    Wie verzaubert starrte er den Ring an. Er bestand aus drei Bändern aus rotem, weißem und gelbem Gold, die untrennbar miteinander verwoben waren. Ehrfürchtig nahm er ihn von dem blauen Samt, mit dem das Kistchen ausgekleidet war. Der Ring fühlte sich angenehm warm in seiner Hand an.
    »Was willst du jetzt damit tun?«, fragte Birgel unruhig.
    »Siehst du dort vorne … Sie ist wieder gekommen.« Wallerich deutete mit ausgestreckter Hand auf die dritte Bankreihe. Dort saß Neriella, die ihrerseits ihren Blick nicht von Till wenden mochte, der eine Reihe über ihr saß. »Ist sie nicht wunderschön?«
    »Na ja … Ein bisschen dünn vielleicht und für uns Heinzelmännchen auch viel zu groß. Dann diese blasse Haut und das grüne Haar. Also ich weiß nicht … Ich begreife nicht, was du an ihr findest!«
    Wallerich richtete sich zu seinen vollen fünfunddreißig Zentimetern auf – was für sein Volk eine stattliche Größe war – und blickte überheblich auf seinen fünf Zentimeter kleineren Freund hinab. »Warst du jemals in eine Dryade verliebt?«
    »Nö«, gestand Birgel unumwunden. »Ich käm nie auf die Idee, mich …«
    »Und deshalb kannst du auch nicht begreifen, was ich für sie empfinde.« Wallerich ballte seine Rechte zur Faust, entschlossen, den Ring nicht mehr herauszurücken, bis die Tat vollbracht war. »Heute soll sie erkennen, wie sehr ich sie liebe!«
    »Dazu braucht man doch keinen Ring!«
    Wallerich hörte nicht mehr auf seinen Freund. Entschlossen schlängelte sich der Heinzelmann durch die Sitzreihe bis zum Mittelgang, der direkt auf das Katheder des Professors zuführte. Grünwald war recht beliebt bei den Studenten. Ein kleiner Mann mit roten Backen, gepflegtem schwarzen Bart und aufmerksamen dunklen Augen. Auch die Feenwesen besuchten seine Vorlesung gerne, doch kamen sie, um sich über die törichten Märcheninterpretationen der Menschen zu amüsieren. Es war schon erheiternd, was die Langen alles in Geschichten hineindeuteten, in denen mehr Wahrheit steckte, als sie sich in ihren kühnsten Träumen auszumalen vermochten. Schuld daran waren vor allem die Gebrüder Grimm, die die besten Geschichten erst gar nicht aufgeschrieben und auch die übrigen skrupellos der pikantesten Szenen beraubt hatten. Aber was wollte man von Menschen erwarten!
    »Folgen wir also weiterhin Max Lüthis Ansatz, der …«, dozierte der Professor, während sich Wallerich neben dem Pult aufbaute und die Hände in die Hüften stemmte. Von hier aus hatte er fast den ganzen Hörsaal im Blick und, was noch wichtiger war, alle würden auch ihn sehen können. Grünwalds Vorlesung war gut besucht. Der Saal stieg in Terrassen nach hinten an, fast wie ein antikes Amphitheater, nur dass diese moderne Variante der Kulturarena mit fest am Boden verschraubten Klapppulten und Stühlen ausgestattet war, die so dicht beieinander standen, dass die Studiosi Ellenbogen an Ellenbogen zusammengepfercht saßen. Fast zweihundert Studenten hatten sich an diesem letzten Oktobermorgen versammelt, um in dem fensterlosen Hörsaal mit seiner kühlen Neonbeleuchtung ein wenig von dem Zauber, der den Märchen ihrer Ahnen innewohnte, zu erhaschen. Wallerich schmunzelte versonnen. Diese Märchenvorlesung würden die Langen niemals vergessen!
    Neriella, die sich in einer der mittleren Sitzreihen niedergelassen hatte, wandte den Blick von ihrem Lieblingsstudenten und runzelte die Stirn. Endlich beachtete sie ihn! Noch konnte nur sie ihn sehen. Doch das würde sich gleich ändern! Er würde ihr zeigen, dass er sich für sie über alle Gesetze der Feenwelt hinwegsetzte. Er war bereit alles für ihre Liebe zu tun. Und sogar die Langen sollten dies sehen. Wallerich nahm den Ring und schob ihn sich über den Finger, während der Professor gerade darüber philosophierte, dass sich der Aufbau der meisten Märchen in die Strukturen der Zweiteilung und eines Dreierrhythmus zergliedern ließ.
    Als Wallerich sichtbar wurde, verstummte das beständige leise Flüstern unter den Studenten, das bisher die Vorlesung begleitet hatte. Jemand hatte sein Handy fallen lassen. Klackernd hüpfte es die Stufen hinab und blieb unmittelbar vor dem Pult des Professors liegen. Grünwald hob verwundert den Kopf. Die ungewohnte Stille schien ihn aus dem Konzept gebracht zu haben.
    Der Heinzelmann räusperte sich leise und versuchte sich an die Rede zu erinnern, die er sich in den letzten Tagen zurechtgelegt hatte, doch sein Kopf

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