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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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bezeichneten. Großvater hatte erzählt, dass es Leute gab, die gewisse Schlachten aus jenem Krieg Jahr für Jahr in Nachbildungen der alten Uniformen nachspielten, natürlich mit Platzpatronen, aber mit großer Begeisterung und sehr auf Einhaltung der historischen Gegebenheiten bedacht. Aber was mir Mortimer von jenem anderen Krieg erzählte, klang einfach grauenhaft, und er schilderte es so plastisch, dass man meinen konnte, die Granaten schlügen neben einem ein. Dies war sicherlich ein Krieg gewesen, den nachzuspielen niemand Lust hatte.
    Ich musste natürlich so tun, als wäre mir das alles vertraut, aber er muss mir wohl trotzdem mein Entsetzen angemerkt haben. »Yes, Ma’am, das war auch schrecklich«, meinte er, und nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. »Und diejenigen, die das überlebt haben, werden das auch nie vergessen. Ich bin trotzdem froh, dass ich an diesem Krieg teilnehmen und mein Land verteidigen durfte … und dann habe ich auf die Weise ja auch meine Gisela getroffen.« Er wischte sich über die Augen. »Wo war Ihr Vater denn eingesetzt?«
    Bernd hatte mich auf eine solche Frage vorbereitet. »Im Pazifik, auf Guadalcanal, da herrschte das gleiche Gemetzel. Zum Glück gehört er zu den wenigen, die die Kämpfe auf dieser Insel überlebt haben. Er hat nicht gerne darüber geredet und immer gesagt, da seien so viele seiner Kameraden auf grausame Weise gefallen, dass er diese Erinnerungen nicht mehr heraufbeschwören möchte.«
    Mortimer nickte nur, und dann schien sein Blick in weite Ferne zu schweifen, als sähe er wieder die schneebedeckten Schlachtfelder jener Zeit vor sich, die vom Blut der Gefallenen beider Seiten rot waren. »Ja, der Krieg ist etwas Schreckliches, aber es muss wohl immer wieder Kriege geben, das liegt anscheinend in der Natur von uns Menschen.«
    Das fand ich zwar nicht, nickte aber stumm. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen uns, dann sah Mortimer mich an, als wäre er aus einem Traum erwacht. »Nicht wahr, Sie helfen mir doch, dass ich wieder nach Hause kann? Ich habe ja nicht mehr viel Zeit, aber die will ich mit meinen Kindern und Enkeln verbringen.«
    Wieder nickte ich bloß stumm und kämpfte das schlechte Gewissen nieder, das mich zu beschleichen drohte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieser Wunsch erfüllen würde, war gleich null, aber das durfte ich ihm unter keinen Umständen sagen, hatte Bernd mir eingeschärft. Wo er nur blieb? Ich warf unauffällig einen Blick auf die Uhr und stellte verblüfft fest, dass ich beinahe drei Stunden mit dem netten alten Mann verbracht hatte. Und alles das, ohne selbst viel zu sagen. »Sie müssen müde sein«, meinte ich, und ein Blick auf seine Körperhaltung bestätigte mir, dass ich das richtig erkannt hatte. Seine Stimme war in den letzten Minuten deutlich leiser geworden, sodass ich manchmal Mühe gehabt hatte, ihn zu verstehen.
    »Sie haben mir jetzt so viel erzählt, dass Sie ganz heiser sind. Ich denke, ich werde einmal nach der Schwester sehen. Und mein Mann sollte auch nicht weit sein. Der wollte sich ja auch noch mit Ihnen unterhalten. Wir sehen uns ja dann vielleicht morgen wieder.« Ob das so sein würde, wusste ich nicht, wollte aber verhindern, dass er mich zu lange festhielt. Ich bekam keine Antwort. Als ich genauer hinsah, stellte ich fest, dass ihm der Kopf zur Seite gesunken war und er gleichmäßig atmete. Frederic. Mortimer war eingeschlafen.
    Ich erhob mich leise aus meinem Sessel, bemüht, den alten Mann nicht zu wecken, schlich mich zur Tür, öffnete sie vorsichtig einen Spalt, zwängte mich auf den Gang und sah mich suchend um. Soweit ich mich erinnern konnte, lag das Sekretariat ein Stockwerk höher, und in die Richtung setzte ich mich in Bewegung. Auf der Treppe begegnete mir eine Schwester, die mir die Richtigkeit meiner Vermutung bestätigte und mich zu Frau Bergmosers Büro wies, der ich berichtete, dass Mortimer eingeschlafen war. Ich bat sie, eine Schwester zu ihm zu schicken, damit sie ihn ins Bett bringen konnte. Als ich mich nach Bernd erkundigte, erfuhr ich zu meiner Verblüffung, dass der sich ebenfalls schlafen gelegt hatte, was eigentlich um die Zeit gar nicht seine Art war.
    »Er muss wohl bei Dr. Beauchamp irgendein anstrengendes Experiment gemacht haben«, meinte mein Gegenüber. »Ich will mal sehen, ob er ausgeschlafen hat. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden.« Kurz darauf erschien sie wieder, in ihrem Gefolge ein etwas mitgenommen wirkender Bernd mit zerdrücktem

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