Nebenweit (German Edition)
Jackett und zerzaustem Haar. Er wirkte noch ein wenig desorientiert, ganz so wie ich ihn kannte, wenn er sich einmal ein Nickerchen am Nachmittag gönnte.
»Haben Sie von Herrn Dupont gehört?«, erkundigte er sich bei Frau Bergmoser, die ihm erklärte, ihr Chef habe aus Paris angerufen und werde mit der Abendmaschine zurückkehren. »Er dürfte gegen neun hier eintreffen«, meinte sie. »Er lässt Sie grüßen.«
»Dann ist es wohl am besten, wir machen uns jetzt auf den Heimweg«, entschied Bernd, nachdem ich ihm erklärt hatte, dass Mortimer eingeschlafen war. »Sonst geraten wir noch in den abendlichen Berufsverkehr.« Und der konnte in den engen Straßen von Rosenheim nervtötend sein, das wusste ich aus leidvoller Erfahrung.
Im Auto kam Bernd mir irgendwie verändert vor, so als würde er etwas vor mir verheimlichen. Auf meine Frage schilderte er mir ausführlich, wie Dr. Beauchamp arbeitete, versäumte auch nicht, sich ausführlich über ihr Äußeres zu verbreiten, aber als ich ihn fragte, was er eigentlich Wichtiges von ihr erfahren und insbesondere, was ihn so müde gemacht habe, wich er mir aus. Ich bedrängte ihn nicht; so wie ich meinen Bernhard kannte, würde er schon von selbst zu plaudern beginnen. Und bis jetzt hatte sich der Mann, der da neben mir am Steuer saß und den schweren Geländewagen durch die frühwinterliche Landschaft steuerte, in allen Details so verhalten, wie ich es von ›meinem‹ Bernhard kannte. Mir fiel selbst auf, dass ich schweigsam geworden war, dass wir die letzten zehn Minuten wortlos nebeneinander gesessen hatten, und jetzt schien das auch Bernd zu bemerken, denn er fragte mit leicht argwöhnischem Unterton: »Ist etwas?«
»Was? Nein, was soll sein?«
»Du bist so schweigsam.«
»So, bin ich das? Du bist ja auch nicht gerade redselig. Außerdem merke ich ja, dass du immer noch müde bist.«
»Stimmt, ich werde mich wohl zu Hause noch einmal eine halbe Stunde aufs Ohr legen. Das ist vermutlich der Wetterumschwung. Und du?«
»Mir geht das Gespräch mit Mortimer noch im Kopf herum. Der Mann tut mir leid. Ich weiß ja, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Er hat so anschaulich vom Krieg erzählt, dass man das Gefühl bekommen könnte, das wäre alles erst gestern gewesen. Erinnerst du dich an den Krieg hier in Deutschland?«
»Nein, als ich zur Welt kam, war ja schon alles vorbei und Deutschland hatte schon wieder eine Art von Souveränität erlangt. Aber mein Vater hat mir oft davon erzählt. Man hatte ihn mit achtzehn eingezogen, stell dir das vor, in einem Alter, in dem Max gerade sein Abitur gemacht hat. Er war an der Westfront eingesetzt und ist in der Ardennenschlacht – ›Battle of the Bulge‹, so hieß sie bei den Amis – verwundet worden. Das war ein Glück für ihn, denn da hat man ihn in die Heimat in ein Lazarett geschickt. Seine ganze Kompanie ist in den Kämpfen um Remagen aufgerieben worden. Von den zweihundert Mann waren am Ende nur ein Dutzend übrig. Vater sagte immer, das sei die letzte entscheidende Schlacht gewesen, aber eigentlich war der Krieg damals schon verloren.«
»An der Schlacht hat Mortimer auch teilgenommen. Äh – Amis?«
»So hießen deine Landsleute bei uns Deutschen. Ich habe sie ja nur als freundliche Besatzer kennengelernt. Mortimer hatte mir ebenfalls erzählt, dass er in den Ardennen eingesetzt war. Stell dir vor, vielleicht hat er gegen meinen Vater gekämpft. Aber entschuldige, du wolltest von ihm erzählen …«
»Erzählen eigentlich nicht, nur sagen, wie nahe mir sein Schicksal geht. Er hatte Tränen in den Augen, als er von seiner Gisela erzählte, der Deutschen, die er nach dem Krieg geheiratet hat. Er sehnt sich so danach, zu seinen Kindern und Enkeln zurückzukehren, und ich bin wirklich froh, dass er eingeschlafen ist, ehe er mich dazu befragen konnte. Ich habe ihm versprechen müssen, bald wiederzukommen.«
»Mal sehen«, meinte Bernd bedächtig. »Dupont hat mich ja gebeten, mit Mortimer zu reden und ihm klarzumachen, dass er hier genauso festsitzt wie ich. Er meinte, ich könne das besser als er, wo ich doch auch aus Mortimers Zeitlinie stamme.« Er presste die Lippen zusammen und nickte nachdenklich. Ich kannte diese Geste von Bernhard. So sah er immer aus, wenn er nicht so recht weiterwusste. »Da hat er leicht reden. Soll ich dem alten Mann etwas von Quantenphysik erzählen, wie Thadewald das mir gegenüber getan hat? Dr. Beauchamp übrigens auch. Wohl eher nicht. Oder ihm aus einem
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