Nebenweit (German Edition)
für den ›Rutsch‹ typisch sind. Schließlich treiben wir doch nicht umsonst diesen Aufwand mit Transferräumen, Tarnhäusern und all dem. Das deutet doch auf ein gewaltiges Maß an Dreistigkeit …«
»Oder Ungeschick.« Erneut war es Bentix, der mich korrigierte. Die beiden anderen hatten sich von Gemeinplätzen abgesehen bisher kaum am Gespräch beteiligt, aber jetzt schaltete Ladox sich ein. »Wenn es sich um Leute aus der Umgebung von Antolax handelt, wie du ja offenbar vermutest, würde mich das nicht wundern. Wir sollten nicht vergessen, dass in der Germaniawelt seit beinahe achtzig Jahren die Nazis herrschen, dass sie seit über sechzig Jahren weder innere noch äußere Gegner haben und deshalb ein Maß an Selbstbewusstsein an den Tag legen – man könnte das ebenso gut als Arroganz bezeichnen –, das ihr euch wahrscheinlich gar nicht vorstellen könnt. Ich sage nur: Herrenrasse. Und Antolax hat sich dieser Hierarchie und deren Denkweise angepasst, möglicherweise so sehr, dass er selbst glaubt, dieser Herrenrasse anzugehören, also einer Art von Übermenschen, wie die Nazis sich das in ihrem Rassenwahn zusammengereimt haben. Da wäre es kein Wunder, wenn das auch auf seine Untergebenen abgefärbt hätte. Und Überheblichkeit macht bekanntlich unvorsichtig.«
Serfax nahm nachdenklich, beinahe genießerisch, einen Schluck aus seinem Bierglas. Meine Kollegen behaupteten immer, ich würde deshalb das Alsace so gern als Treffpunkt wählen, weil ich das Kronenbourg-Bier so schätzte, das man dort – übrigens vom Fass – ausschenkte. Dabei waren meine Gründe wirklich rein praktischer Natur. Paris, und ganz besonders die Champs-Élysées waren einfach ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Herren Länder und somit die ideale Tarnung für Treffen wie die unseren.
»Ich finde, wir können uns noch stundenlang über Beweggründe und Motive unterhalten«, meinte er dann mit der Abgeklärtheit eines Menschen, der inzwischen die ganze Tradition eines zweieinhalbtausend Jahre alten Reiches verkörperte, gerade als hätte er sein ganzes Leben dort verbracht, »aber echte Klarheit werden wir erst haben, wenn wir uns diesen Antolax persönlich vornehmen, also uns selbst in die Höhle des Löwen begeben. Irgendwie muss man doch an ihn herankommen.«
Ein Blick in die Runde zeigte mir, dass auch die anderen so dachten. Eine Abstimmung erübrigte sich also. Aber wie es anstellen? Der Graben zwischen den beiden Denkrichtungen war im Laufe der Jahrzehnte so tief geworden, dass wir uns zwar offiziell nicht gerade als Feinde gegenüberstanden, uns aber praktisch wie solche belauerten. Einfach auf Antolax’ Burg aufzutauchen und ihn zu einem Gespräch aufzufordern, würde also nichts bringen. Er würde unseren Abgesandten natürlich empfangen und ihn auch höflich und korrekt behandeln, aber mehr als eine Bekräftigung der miteinander konkurrierenden Standpunkte würde bei dem Gespräch nicht herauskommen.
***
Im Taxi zum Flughafen ließ ich unser Gespräch noch einmal Revue passieren. Ladox’ Hinweis auf die Überheblichkeit im Denken der Herrenrasse und damit vermutlich auch bei Antolax hatte uns auf die hoffentlich richtige Spur gebracht. Antolax und seine Leute mochten eine verschworene Gemeinschaft bilden und sich auf ihrer Ordensburg festgesetzt haben, aber besonders vorsichtig gingen sie offenkundig nicht zu Werke. Das bestätigte schließlich auch die dreiste Entführung Mortimers und die Entführungen am helllichten Tage, von denen man in Unterwössen ganz offen redete – wenn auch zum Glück ohne zu wissen, worum es sich dabei wirklich handelte. Ladox’ kritische Anmerkungen hatten in diesem Punkt auch bei mir gewisse Zweifel geweckt.
Die Dinge waren nicht immer so, wie man sie sich zurechtlegte … Das würde ich vielleicht auch Bernd Lukas gegenüber aufklären müssen, den ich bisher in dem Glauben gelassen hatte, die Männer in der Forsthütte stünden unter meinem Kommando. Wo ich doch in Wirklichkeit nur dafür gesorgt hatte, dass ich über alles informiert wurde, was in der Hütte geschah. Lukas war schließlich nicht der Einzige, der dort mit elektronischem Gerät gelauscht hatte …
Überheblichkeit macht sorglos, machte ich mir bewusst, und mit diesem Gedanken eröffneten sich ganz neue Perspektiven. Was wenn die ›Entführungen‹ in Wirklichkeit nichts anders als dreiste Rutsche am helllichten Tage gewesen waren? Streng verpönt, schließlich gab es dafür sichere Räume in alten
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