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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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vorstellen, konnte dazu Parallelen aus der Geschichte der eigenen Welt erkennen und die Spannungen nachempfinden, die sich zwischen den beiden Parteien aufgebaut hatten, die bestimmt beide lange Zeit ehrlich überzeugt gewesen waren, für ihre Mitbürger nur deren Bestes zu wollen.
    »Aber wieso hat sich die Situation mit dem Auftreten dieses Antolax so verschärft?«, wollte ich wissen, als er mir die Eskalation des Konflikts in den letzten Monaten geschildert hatte. »Ich meine, ideologische Auseinandersetzungen zwischen Parteien sind doch schließlich etwas ganz Alltägliches, das braucht doch nicht in Gewalt auszuarten?«
    Heinrich wandte kurz den Blick von der Straße ab, sah zu mir herüber. Sein Ausdruck wirkte beinahe mitleidig. »Aber Herr Lukas, da merkt man so richtig, in was für einer friedfertigen Welt Sie leben, bisher gelebt haben, sollte ich vielleicht sagen. Ja, die Europawelt ist tatsächlich eine Welt, die seit Generationen nahezu alle ihre Konflikte mit friedlichen Mitteln und weitgehend einvernehmlich löst. Das ist auch der Grund, warum wir unser Hauptaugenmerk auf sie gerichtet haben und uns seit über hundertfünfzig Jahren in ihr niedergelassen haben. In der Amerikawelt gibt es einen Schriftsteller, der ein Buch über ›Das Ende der Geschichte‹ geschrieben hat, das war Anfang der neunziger Jahres, als es kurze Zeit auch dort so aussah, als hätten alle Konflikte ein Ende. Heute, zwanzig Jahre später sieht es dort wieder ganz anders aus.
    Aber Sie wollten eine Begründung für den Fanatismus, der Antolax antreibt. Nun, das ist eigentlich ganz einfach mit zwei Urtrieben des Menschen zu erklären: Habgier und Machtgier. Antolax hat es geschafft, sich einen Platz in der Nazihierarchie zu erobern, und jetzt will er mehr, will die absolute Macht, nicht nur in dieser Welt, sondern auch zu Hause, in Gälia. Mit den ursprünglichen Zielen der ›Eine-Welt-Bewegung‹, wie das einmal hieß, hat das nichts mehr zu tun, aber seine Anhänger merken das nicht. Und jetzt, da er befürchten musste, dass man ihn zur Rechenschaft zieht, dreht er durch. Kein ungewöhnliches Verhalten für einen von Machtgier besessenen Menschen …«
    Heinrich verstummte, wurde nachdenklich. »Ich bin wirklich gespannt, was jetzt passiert und wo und wann er wieder auftaucht. Ein Blindrutsch ist hoch riskant, das habe ich Ihnen ja schon erklärt. Wenn man einmal von den typischen Gefahren absieht – also dass er in der Anderwelt an einer Stelle auftaucht, wo schon ein Baum, eine Mauer, ein Fels steht, das wäre nämlich mit Sicherheit sein Tod –, ist ja keineswegs gesagt, dass er in der Europa- oder der Amerikawelt herauskommt, wo er sich in dieser Gegend irgendwie zurechtfinden könnte. Wenn er in Gälia auftaucht, wäre er ein paar Tausend Kilometer von der Zivilisation entfernt … Ich kann das einfach nicht nachvollziehen.« Er schüttelte den Kopf.
    »Aber wir müssen uns jetzt wieder dem Näherliegenden zuwenden«, meinte er dann nach einem Blick nach draußen, wo die ersten Häuser einer Stadt zu erkennen waren. »Wir nähern uns jetzt Danzig, und da will ich diesen Wagen loswerden. Das ist der Dienstwagen eines hohen Offiziers, damit würden wir am Flughafen Aufsehen erregen. Und das können wir unter keinen Umständen gebrauchen.«
    Für mich war das das Stichwort, meine Wissbegierde bis zu einem günstigeren Zeitpunkt zurückzunehmen, und so nickte ich bloß und blieb stumm.
        
     
     

???
   
46
     
    Als das prickelnde Gefühl der Versetzung nachließ, saß Antolax benommen im Schnee, im dichten Dunkel. Seine Augen brauchten eine ganze Weile, bis er seine Umgebung wahrnehmen konnte, außerdem war da noch dieser stechende Schmerz an seiner Stirn, den er nicht gleich lokalisieren konnte. Er tastete nach der Stelle, von der der Schmerz ausging. Sie fühlte sich klebrig an, und als er die Hand wegnahm und sie sich vor die Augen hielt, konnte er trotz der Dunkelheit erkennen, dass Blut daran klebte. Er leckte daran. Ja, kein Zweifel, das war der süßliche Geschmack von Blut.
    Er versuchte, sich zu orientieren, suchte nach der Straße, auf der der Wagen gestanden hatte, der Telefonzelle. Meist entsprach die Umgebung in der nächsten Anderwelt ziemlich genau der, aus der man gekommen war. Er hatte angenommen, in der Europawelt herauszukommen, hatte vorgehabt, ein paar Augenblicke dort zu verweilen und dann in die eigene zurückzurutschen – so empfand er inzwischen die Welt, in der die Ordensburg

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