Nebenweit (German Edition)
stand, auf der er das Kommando führte.
Aber da waren nur Bäume, Tannen, Eichen, Buchen, dichtes Buschwerk dazwischen, Unterholz, Urwald. Jetzt spürte er auch ein Brennen am rechten Handgelenk, an dem noch die Handschelle hing. Er hatte versucht, sich von ihr zu befreien, aber sie saß zu eng, und so hatte er sich aufgeschürft und der Türgriff hatte eine tiefe Wunde auf seinem Handrücken hinterlassen, als ihn die Kräfte, die ihn von einer Welt in die nächste versetzt hatten, aus seiner Verankerung gerissen hatten.
Er setzte sich in Bewegung, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, tastete mit beiden Händen um sich, um nicht noch einmal mit einem Stamm zu kollidieren, wie es zweifellos geschehen war; nur so konnte er sich das Blut an seiner Stirn erklären. Er fror, seinen Mantel hatte Ladox ihm abgenommen, als er ihn auf den Rücksitz der Limousine verfrachtet hatte, und die Kälte drang inzwischen durch seine Uniform. Unter seinen Schaftstiefeln knackten heruntergefallene Äste. Er musste immer wieder die Richtung wechseln, weil das dichte Unterholz ihm den Weg versperrte. Wenn er wenigstens eine Taschenlampe gehabt hätte, dachte er und griff in die Tasche, um sein Feuerzeug herauszuholen. Aber das kleine Flämmchen reichte nicht aus, um sich zu orientieren.
Er lauschte.
Auf der Straße, auf der sie gefahren waren, herrschte nicht viel Verkehr, das wusste er, und das würde auch in der Anderwelt so sein – aber welche Anderwelt war dies? Eigentlich hätte er ja auf der Straße herauskommen müssen. Aber von der war nichts zu hören, noch war da etwas zu sehen, kein Lichtschein von Scheinwerferbalken, auch nicht die schwache Beleuchtung der Telefonzelle.
Er verhielt, überlegte, lauschte in die Nacht hinein, aber da war nichts, nur das Knacken von Ästen, auf die er getreten war und die sich jetzt wieder aufrichteten. Doch nein, das war mehr, da bewegte sich etwas, das waren gleichmäßige Laute – tapptapp, tapptapp, tapptapp – und das Geräusch kam näher, wurde deutlicher. War da noch jemand im Wald? Jemand, der ihm den Weg ins Freie weisen konnte, den Weg zu einem Ort, wo es wärmer war, zu Menschen …?
»Hallo, ist da jemand? Hallo!«, rief er und hatte das Gefühl, dass die Nacht seine Stimme wenige Meter von ihm verschluckte.
Keine Antwort. Aber das tappende Geräusch kam näher, und jetzt drang ein scharfer Geruch an seine Nase. Von rechts kam der, und auch das Geräusch kam von rechts.
»Hallo, hier bin ich«, rief er erneut. »Hallo –« Dann erstarb seine Stimme, als sich plötzlich eine dunkle Silhouette vor den Bäumen abzeichnete, dunkler als diese, etwa hüfthoch, wie ein großer Hund, ein sehr großer Hund, dachte er, und dann überkam ihn plötzlich eine Erinnerung aus seiner frühen Jugend. Das war in den Wäldern von Luteta gewesen … Er war mit ein paar Gleichaltrigen Beeren sammeln gewesen, als plötzlich ein Bär aufgetaucht war. Mit lautem Geschrei und mit Stöcken hatten sie das Tier in die Flucht geschlagen und sich gegenseitig versprochen, den Eltern nichts zu erzählen, weil die ihnen sonst bestimmt solche Ausflüge in den Wald verboten hätten.
Und jetzt war er allein und ein Griff an die Hüfte bestätigte ihm, dass da keine Pistole im Halfter steckte, die hatte ihm Tadeusz bei dem Überfall sofort abgenommen. Und da war auch kein Stock, also blieb ihm nur, mit den Armen zu fuchteln und laut zu schreien … was jedoch nicht den geringsten Eindruck auf den Bären machte, der sich jetzt auf die Hinterbeine aufrichtete und näher kam.
Fast menschlich wirkten seine Bewegungen, wie er aus der Dunkelheit so auf ihn zukam, nur die mächtigen Zähne in seinem Rachen hatten wenig Menschliches an sich.
Antolax machte kehrt, versuchte zu rennen, stolperte über eine Wurzel, ging zu Boden, und da war die Bestie über ihm.
Ein brennender Schmerz an der Schulter, als die mächtige Pranke zuschlug …
Bernhard Lukas
47
Die Stimme des Kapitäns, der uns den Anflug auf den ›Horst-Wessel-Flughafen der Hauptstadt der Bewegung‹ ankündigte und zum Anschnallen aufforderte, riss mich aus tiefem Schlaf.
»Na, gut geschlafen?«, lächelte Heinrich, der neben mir saß und jetzt seine Zeitung zusammenfaltete. »Das war ein aufregender Tag für Sie, aber jetzt brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen. Zumindest für den Augenblick nicht«, schränkte er gleich ein. »Ich habe eine Wohnung in München, da können Sie sich die nächsten Tage
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