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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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meinen, der, aus der ich stammte, der Welt, der mein ganzes Sehnen galt und wo unerreichbar fern Carol und meine Familie sich vielleicht schon damit abgefunden hatten, dass ich nie mehr zu ihnen zurückkehren würde.
    »Wie geht es jetzt weiter?«, fragte ich den Mann, der jetzt die Macht über mein weiteres Schicksal hatte. »Und, genauso wichtig, würden Sie mir bitte erklären, was da jetzt mit mir geschieht. Jemand, der behauptet hat, er komme aus einer anderen Welt, hat mir heute Morgen erklärt, er wolle hier dafür sorgen, dass ich eine neue Identität bekomme, weil ich bis jetzt sozusagen gar nicht existiere. Dann haben Sie diesen Mann entführen lassen und sich gewundert, dass sich da ein Bernhard Lukas in seiner Gesellschaft befindet, den Sie anscheinend kennen. Jetzt hat dieser Mann sich in Luft aufgelöst und Sie wollen, dass ich mit Ihnen wieder nach München zurückfliege – wo ich erst heute Morgen gestartet bin.
    Ziemlich viel für einen Tag und für einen Menschen, den es gar nicht gibt, finden Sie nicht auch?«
    Heinrich musste lachen. »Sie haben recht, ich habe die Dinge vielleicht ein wenig zu sehr durch meine Brille gesehen. Ich will versuchen, Ihnen das zu erklären …«
    ***
     
    Und das hatte er getan, eineinhalb Stunden lang. Während draußen die eintönig flache Moränenlandschaft Ostpreußens vorbeizog, hatte Heinrich mir die Geschichte seines Volkes berichtet. Auch Stolz klang aus seinen Worten, Stolz auf die Leistung der Vorfahren, die mit kärglichen Mitteln aus den Ruinen der vom Großen Feuer verwüsteten Städte Metall geborgen und daraus Pflugscharen und Schwerter geschmiedet hatten, Stolz auf die Leistung ihrer Druiden, die in den Jahrhunderten der Not die Tradition des Volkes bewahrt und in mündlicher Überlieferung die Geschichte des Stammes von Generation zu Generation weitergegeben hatten.
    Ich hatte fasziniert zugehört und ihn kaum mit Fragen unterbrochen, weil mir dies alles so fremd war, dass ich kaum einen Bezug dazu herstellen konnte. Die Bücher, die ›Herr Schmid‹ mir in meinem Kellergefängnis zur Verfügung gestellt hatte, hatten sich ausschließlich mit der Geschichte der Welt befasst, auf deren Straßen wir jetzt einem Flughafen zurasten, einer Welt, die Heinrichs Volk ›Germaniawelt‹ nannte, während sie sich selbst als die Gäler bezeichneten und ihre Welt als Gälia, eine Welt übrigens, die sich im Wesentlichen auf den Umkreis von einigen Hundert Kilometer um Paris, in der Sprache der Gäler Luteta, beschränkte.
    Heinrich – er hatte mir anvertraut, dass sein richtiger Name Ladox lautete, mich aber gebeten, weiterhin den Namen zu benutzen, unter dem er in dieser Welt bekannt war, also Walter Heinrich – hatte beinahe schwärmerisch von den Leistungen seines Volkes erzählt, und ich musste zugeben, dass er allen Anlass hatte, darauf stolz zu sein. Dennoch musste ich ihn bremsen und ihn dazu bringen, auf die heutige Situation einzugehen.
    »Das klingt faszinierend«, war ich ihm schließlich ins Wort gefallen, »Ihr Volk hat da wirklich Großartiges geleistet, aber das erklärt nicht, wieso Sie hier sind, geschweige denn wie Falkenberg so plötzlich verschwinden konnte. Dass ich hier mitten in eine Auseinandersetzung hineingerissen wurde, wird mir auch immer klarer, nicht jedoch, worum es dabei wirklich geht und wieso ich wie ein Gefangener behandelt wurde. Und vielleicht bin ich das ja immer noch«, fügte ich mit einem schiefen Lächeln hinzu.
    »Ja, das kann ich Ihnen nachfühlen«, nickte Heinrich. »Lassen Sie mich dazu ein wenig weiter ausholen. Um die Zeit, in der in Frankreich die große Revolution stattfand, in der die Franzosen die Monarchie abschafften und ihren König aufs Schafott brachten …«
    Der Mann besaß die Gabe eines großen Erzählers, meldete sich der Schriftsteller in mir. Er hatte die Fähigkeit, Ereignisse aneinanderzureihen, die handelnden Personen dabei lebendig werden zu lassen und dabei, ohne zu weit abzuschweifen, das Bild einer vergangenen Zeit an einem fernen Ort zum Leben zu erwecken. Man konnte als Zuhörer glauben, selbst Zeuge der schrecklichen Seuche zu werden, die aus unserer Welt in die der Gäler eingeschleppt worden war, bangte mit den notdürftig ausgebildeten Ärzten um das Leben ihrer Patienten und freute sich mit ihnen, als die Gefahr schließlich als gebannt gelten durfte.
    Und in gleicher Weise konnte ich mir die Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Fortschritts und den Traditionalisten

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