Nebenweit (German Edition)
widernatürlich sei und daher verboten werden müsse. Aber Antolax’ Gefolgsleute hatten ihnen erklärt, man müsse das Böse kennen, um es bekämpfen zu können. Und jung und unerfahren, wie sie alle noch waren, hatten sie sich mit dieser fadenscheinigen Erklärung zufriedengegeben.
Sie hatten sich den Palisaden von Ak mittlerweile so weit genähert, dass man bereits den Rauch riechen konnte, der aus den Schornsteinen zu ihnen herüberwehte, und Ardex blieb stehen, tippte Kilux an die Schulter und bedeutete ihm, stehen zu bleiben.
Bernd Lukas
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Charlie hatte den Spaziergang durch den verschneiten Bergwald genossen und war immer wieder in den tiefen Schnee eingetaucht, um dann mit munterem Bellen hinter mir herzurennen. Es hatte die ganze Nacht geschneit, und so lagen an die zehn Zentimeter Neuschnee, die im hellen Sonnenschein glitzerten. Fast eine halbe Stunde waren wir zwischen den Tannen dahingeschlendert, aber jetzt wölbte sich über mir wieder der strahlend blaue Himmel eines traumhaften Dezembertags.
Über ein Monat war vergangen, seit ich zuletzt mit Dupont zusammengesessen und von der Auffindung meines Zwillings gehört hatte, und fast jeden Tag hatte mich der Gedanke gepeinigt, dass ich eigentlich Carol davon erzählen müsste, doch dazu fehlte mir nach wie vor der Mut. Unser Leben hatte sich normalisiert, und manchmal fragte ich mich, ob meine Erinnerung an das Leben vor meinem ›Rutsch‹ nicht nur ein böser Traum war. Unser Tagesablauf war der eines Frührentnerehepaars mit gesichertem Einkommen, will sagen, wir lebten einen geregelten Alltag, frühstückten meist spät und ausgiebig, machten lange Spaziergänge, fuhren gelegentlich mit dem Auto oder der Bahn nach Rosenheim oder München, bummelten durch die Straßen, kauften Nützliches und Überflüssiges und unterbrachen die Alltagsroutine hin und wieder durch einen Restaurantbesuch, mal rustikal und mal elegant.
Jessicas Geburtstag hatten wir zu Hause gefeiert. Sie hatte ihren neuesten Freund mitgebracht, einen netten Studienkollegen mit, wie ich fand, vernünftigen Ansichten zum Weltgeschehen, und wir hatten mit den beiden und Max einen harmonischen Sonntagnachmittag miteinander verbracht, ganz so, wie eben zwei unterschiedliche Generationen miteinander feiern. Meine Sorge, sie oder Max könnten ›etwas merken‹, hatte sich als unbegründet erwiesen. Ich war inzwischen in dieser Welt so zu Hause, dass mich weder die Technik eines Fernsehers oder eines Mobi noch ein angeregtes Gespräch über die politische Entwicklung in der Ägäis in Verlegenheit bringen konnten.
Inzwischen war unser Haus mit der zehn Zentimeter hohen Schneeschicht auf dem Dach und dem gemütliche Rauchwolken ausstoßenden Kamin auf Sichtweite näher gerückt, und Charlie, der mir vorausgerannt war, stand schweifwedelnd neben dem silbergrauen Audi in unserer Einfahrt. Dupont. Den hatte ich in den letzten Wochen mehrmals zu erreichen versucht, hatte aber von Frau Bergmoser immer wieder vernommen, er sei geschäftlich unterwegs, wobei sie sich nicht dazu erweichen ließ, sich über Einzelheiten auszulassen, obwohl ihr ja inzwischen bekannt war, dass ich in die Geheimnisse ihres Chefs, zumindest deren im Großen und Ganzen wesentlichstes, eingeweiht war.
Als ich mir an der Tür den Schnee von den Schuhen klopfte und Charlies Pfoten von den Schneeklumpen befreite, die er vom Spaziergang mitgebracht hatte, hörte ich aus dem Wohnzimmer Stimmen der angeregten Unterhaltung, die Carol mit Jacques führte, und da stellte sich gleich wieder meine Angst ein, sie könne zur Unzeit vom Schicksal Bernhards erfahren, auch wenn mir klar war, dass Dupont die wesentlichste Kunst der Diplomatie, also den gezielten Umgang mit Wahrheit und Unwahrheit, tausendmal besser beherrschte als ich.
Als ich den Raum betrat, hatte Charlie mich bereits überholt und begrüßte Dupont wie einen alten Bekannten, wobei er auf dessen grauer Flanellhose, wie immer mit makelloser Bügelfalte, feuchte Spuren hinterließ. Nachdem die Begrüßung beendet war, erhob sich Dupont und kam mir mit ausgestreckter Hand entgegen.
»Sie haben mehrfach versucht, mich zu erreichen«, sagte er, »und ich habe Carol schon erklärt, dass ich fast drei Wochen in Regierungsgeschäften in Luteta war. Da gibt es eine ganze Menge zu erzählen, aber lassen Sie zuerst hören, wie es Ihnen geht. Carol hat mir schon erzählt, dass Sie demnächst Urlaub in der Konföderation machen wollen, bei all
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