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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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verschiedenen Titel, dann zog er ein Buch und eine Karte heraus und drückte Hannah beides in die Hände. »Ich rate Ihnen zu diesen beiden Werken. Sowohl Karte als auch Führer stammen aus demselben Verlag, sind also aufeinander abgestimmt. Bei dem Buch handelt es sich um eine aktualisierte Neuauflage. Darin finden Sie alle Sehenswürdigkeiten und Gastwirtschaften. Übersichtlich aufgelistet und mit den wichtigsten Informationen versehen. Damit können Sie nichts falsch machen.« Mit einem beinahe schüchternen Lächeln fragte er: »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
    »Danke, nein. Ich denke, damit bin ich erst mal eine Weile beschäftigt.« Sein Lächeln verwirrte sie. Oder war es sein Aftershave? Was auch immer geschehen mochte, in dieser Buchhandlung war sie sicher nicht zum letzten Mal. »Danke für Ihre Hilfe«, sagte sie und hob ihre Neuerwerbungen in die Höhe. »Ich denke, ich zahl dann mal.« »Viel Spaß bei Ihren Ausflügen.«
    An der Kasse glitt ihr dann erst mal das Portemonnaie aus der Hand. Zwei Euro und einige Cent rollten lautstark über den Parkettboden, und es dauerte eine Weile, ehe sie die Ausreißer eingefangen hatte. Mit hochrotem Kopf tauchte sie hinter der Kasse auf und steckte das Geld zurück. Die Mitarbeiterin des Buchhändlers, eine ältere Frau mit scharfen Linien um den Mund, wartete geduldig. »Siebzehn Euro achtzig bitte.« Ihre Stimme klang so ganz anders als die des Buchhändlers. Hart und gläsern und mit unverwechselbarem sächsischen Akzent. Sie schien von der humorlosen Sorte zu sein. Hannah war das ganz recht. Was ihr jetzt noch gefehlt hätte, waren irgendwelche peinlichen Kommentare. Sie zahlte und verließ die Buchhandlung in Richtung Marktplatz.
    Das Cafe am Markt bot genau das richtige Ambiente: große Tische, Sonnenschein, Blick auf den Brunnen und das Rathaus. Die Schritte der Passanten hallten über das Kopfsteinpflaster und wurden von mittelalterlich anmutenden Holzfassaden zurückgeworfen. Es gab hier überraschend wenig junge Menschen. Die meisten hatten die fünfzig schon weit überschritten und zogen im kleidsamen Rentnerbeige, weißlockig und mit Baedeker bewaffnet, durch die Gegend. Nun ja, jedem das Seine.
    Hannah setzte sich, bestellte Kaffee und einen Apfelkuchen und begann die Karte auszubreiten. Wo sollte sie anfangen? Vielleicht an den Punkten, die mit den Sternen aus Blattgold übereinstimmten. Rund um den Brocken gab es davon gleich sieben. Da waren zum Beispiel der große und der kleine Brocken, die Heinrichshöhe, der Königsberg und die Brockenkinder, alle gut zu Fuß erreichbar. Bei der Gelegenheit bot sich vielleicht ein schöner Blick über das Land. Laut Wetterbericht sollten die kommenden Tage sonnig werden. Höchstens etwas Frühnebel, der sich im Laufe des Vormittags aber verflüchtigen würde. Danach stand Fernsicht auf dem Programm. Das Glück war auf ihrer Seite. Der Brocken war bekannt dafür, sein Haupt dreihundert Tage im Jahr mit Nebel und Wolken zu verhüllen.
    Als ihre Bestellung kam, faltete Hannah die Karte zusammen. Sie nippte gerade an ihrem Kaffee, als ihr Blick auf einen unrasierten, dicklichen Mann mit kurzgeschorenen Haaren und speckiger Lederjacke fiel, der vom Brunnen aus ganz unverhohlen zu ihr herüberstarrte. Zuerst dachte sie, er würde vielleicht das Cafe betrachten, immerhin war es ein hübsches und traditionsreiches Gebäude. Aber ihr wurde schnell klar, dass er sie meinte. Hannah tat das, was sie in solchen Situationen immer tat: Sie starrte zurück. Die meisten Männer ertrugen es nicht, wenn sie zu einem Blickduell herausgefordert wurden. Meistens schwirrten sie ab, noch ehe ein unfreundliches Wort gefallen war. Nicht so dieser Typ. Geduldig hielt er ihrem Blick stand. Mehr noch, er nahm seine Kamera und fing an, sie zu fotografieren. Hannah griff nach der Harzer Volksstimme, die auf dem Nachbartisch lag, und hielt sie sich demonstrativ vors Gesicht. Interesse heuchelnd, blätterte Hannah zuerst durch den Mantel, dann durch den Wernigeroder Lokalteil. Als sie bei den Todesanzeigen angekommen war, wagte sie einen Blick über den Rand. Der Typ war verschwunden. Erleichtert ließ sie die Zeitung sinken und widmete sich ihrem Gedeck. Komische Person. Eine Unverschämtheit, sie so dreist zu fotografieren. Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre sie zu ihm rübergegangen und hätte ihm ihre Meinung gesagt. Sein Glück, dass er so schnell verschwunden war. Na ja, es gab immer ein paar Verrückte, hüben wie

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