Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
instinktiv an seinen Körper, während er Träume durchlebte, die weit mehr waren als bloße Nachtgesichte. Stöhnend und vor sich hin murmelnd wälzte er sich von einer Seite auf die andere.
Flüchtige Eindrücke von den Gebirgshöhen, der hoch oben dahinjagende Mond, dazu das unheimliche, unirdische Geheul der grauen Brüder. Wie alle natürlichen Wesen der Nacht, ganz gleich welcher Welt, verehrten sie die silberne Mondgöttin und brachten ihr ihre Lobgesänge dar ...
Das Heulen verklang, und niemand außer Nathan hatte es gehört.
Oder vielleicht doch noch jemand, denn bei seinem Gespräch mit Blesse, Stutz und Grinser hatte er sich der Telepathie bedient und nicht der Totensprache, die von vornherein jeden Zeugen ausschloss. Und da er schlief, konnte Nathan so gut wie keine Vorkehrungen gegen etwaige Lauscher treffen. Die zahllosen Toten wussten selbstverständlich, dass er wieder zurück war, und obwohl sie ihm kein allzu großes Vertrauen entgegenbrachten, ganz zu schweigen von seinem Bruder, dem Nekromanten – oder vielleicht gerade deswegen –, hatten sie mit morbider Faszination zugehört, als er sich mit den Wölfen unterhielt, ungefähr so wie ein Vogel eine Schlange beobachten mag. Doch zumindest einer von ihnen war zu laut.
Nathan kannte die Stimme von früher, erinnerte sich sogar an den Namen – Jasef Karis! –, wusste aber nicht, woher. Wohl aus einem längst vergessenen Traum aus seiner Vergangenheit. Jasef Karis, ja! Doch ein Name allein reichte nicht aus, um in derartigen Angelegenheiten auch Gehör zu finden. Vielleicht würde Nathan ihn eines Tages persönlich aufsuchen – sofern die übrigen Toten der Szgany dies zuließen! Denn von der Großen Mehrheit der Sonnseite war Jasef der Einzige, der, unweigerlich zum Missfallen seiner Leidensgenossen, stets zu ihm gehalten hatte.
Und so machte sich nun seinerseits der Necroscope still und leise daran, heimlich zuzuhören. Dabei wagte er kaum zu atmen. Wäre Misha wach gewesen, hätte sie mit Sicherheit bemerkt, dass ihr Ehemann wieder auf etwas »lauschte« – nämlich auf das verstohlene Wispern der Toten.
Er ist also wieder da! Ein hörbarer Schauder schwang in der körperlosen Stimme mit. Als ob es hier nicht schon genug von diesen Ungeheuern gäbe!
Bah! Das war Jasef Karis. Mir wird übel, wenn ich euch zuhöre. Obwohl er noch so jung und noch dazu ein Mensch ist, haben die Thyre den größten Respekt vor ihm! Ihr habt doch selbst gehört, wie ihre Ältesten, die ebenso tot sind wie wir, von ihm reden! Für die Toten der Thyre ist Nathan ein Held! Und für die lebendigen Thyre ebenfalls. Müssen uns denn erst die Nichtmenschen aus der Glutwüste darauf stoßen, dass unser Retter unter uns weilt? Denn, glaubt mir, dieser Mann wird die Rettung der Szgany sein – wenn ihr dies zulasst! Wie könnt ihr so ruhig daliegen und ihn mit Missachtung strafen, wo doch eure Kinder unter den Lebenden in Gefahr sind? Er ist eure einzige Hoffnung auf das Fortbestehen der Szgany und darauf, dass jemand eure Gräber hütet, sofern ihr welche habt!
Diese letzten Worte verstand Nathan nur zu gut. Seit undenklichen Zeiten verbrannten die Szgany zumeist ihre Toten, insbesondere diejenigen, die durch die Hand der Wamphyri gefallen waren; es war die einzige Möglichkeit, wirklich sicherzugehen. Falls ein Mann oder eine Frau jedoch bei einem Unfall ums Leben kam oder an einer Krankheit oder Altersschwäche starb oder wenn der Betreffende von seinem Stamm hoch verehrt wurde und man es für sicher hielt, dann ... ja dann erhielten sie unter Umständen ein ordentliches Begräbnis. Manche Stämme verfügten sogar über eigene Stätten für die Grablege: Erdaufschüttungen, Hügel oder weitläufige Höhlen. In den Wäldern musste es zahllose unbekannte Gräber geben, und Nathan fragte sich, ob Jasef Karis irgendwo da draußen wohl auch eine Ruhestätte hatte. Es war nicht unwahrscheinlich. Denn während ein Großteil der Toten im wahrsten Sinne des Wortes hauchdünne Stimmchen hatte (Beleg dafür, dass ihre Besitzer entweder zu Asche verbrannt oder schon seit sehr langer Zeit tot waren), klangen andere wesentlich lauter, konzentrierter, wenn nicht gar kräftig, im Einklang mit ihren sterblichen Überresten – die erst kürzlich Verstorbenen! Und Jasefs Stimme, obgleich diejenige eines alten Mannes, zählte zu Letzteren.
Was nun die jüngst Verstorbenen betraf, beispielsweise die im Kampf um den Zufluchtsfelsen Gefallenen – sie dürften wohl noch zu verwirrt
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