Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
ein leises, bitteres Knurren.
»Weil er ein Wamphyri ist?«
Dies, und auch aus weiteren Gründen. Nestor und jene anderen in der letzten Felsenburg machen uns schon seit geraumer Zeit das Leben schwer.
»Warte!«, sagte Nathan. »Das möchte ich ganz genau wissen. Wenn Nestor von Zahlen umgeben ist, weshalb weiß ich dann nichts davon? Warum kann ich sie nicht sehen? Warum habe ich sie nie gespürt? Ich meine, Nestor hasst Zahlen!« So verhielt es sich, und nun erinnerte er sich auch daran, was Nestor früher immer zu sagen pflegte – dass Zahlen gerade gut genug dazu wären, die Fische zu zählen, die er gefangen hatte, dass Dividieren nichts anderes sei als das Aufteilen der Beute am Abend nach der Jagd und dass Kaninchen die Kunst des Multiplizierens schon seit langem beherrschten, ohne auch nur einmal die Finger dazu zu benutzen.
Er weiß nicht, dass er sie verströmt, und falls doch, ist es ihm gleichgültig. Er gibt dir die Schuld an den Zahlen in seinem Kopf, Nathan! Das hat er schon immer getan! Denn sobald du in der Nähe bist, beginnen sie durcheinanderzuwirbeln, und wenn er eines nicht mag, dann ist es der Mahlstrom in seinem Hirn.
»Woher willst du das wissen?«
Weil es uns genauso geht. Auch wir haben diese Zahlen, können aber nichts damit anfangen! Dasselbe, was in unserem Vater war, ist auch in uns. Das ist der Grund, weshalb wir anders sind, klüger als die anderen Wölfe. Aber um ein Wolf zu sein, braucht man nicht all das zu wissen, was er wusste! Und Nestor ergeht es ähnlich. Warum versuchst du denn nicht, zu verstehen? Ach, früher war es viel einfacher, mit dir zu reden! Nathan spürte die Enttäuschung seines Gegenübers und eine gewisse Dringlichkeit. Doch dies wollte er geklärt wissen.
»Früher war es einfacher mit mir zu reden, weil ich nichts verstand; ich nahm einfach alles hin! Jetzt dagegen fange ich an zu verstehen. Aber eines muss ich dir sagen: Nestors Zahlen habe ich nie bemerkt, aber auch die deinen nicht und auch nicht diejenigen von Stutz oder Grinser!«
Ein verzweifeltes Achselzucken. Ich versuche nur, mich in Nestor hineinzuversetzen. Vielleicht habe ich Recht, vielleicht aber auch nicht. Ich kann doch nur sagen, wie ich ...
»Und was hat es bei dir mit den Zahlen auf sich? Warum habe ich sie nicht bemerkt?«
Ich habe sie unter Kontrolle gebracht und verdrängt. Unsere Mutter sagte uns immer: ›Verbergt sie! Das ist widernatürlich! Euer Vater hatte das auch, und was ist aus ihm geworden? Mit einem lauten Knall ist er in einem gewaltigen Lichtblitz verschwunden!‹ Schon als Welpen unterdrückten wir sie. Was waren sie denn schon? Sie störten doch nur!
»Könntest du sie dir wieder ins Gedächtnis rufen? Und mir zeigen?«
Meine Zahlen? Ein wölfisches Aufstöhnen. Welch eine Zeitverschwendung! Nun sag’ mir doch, Onkel: Bist du zurückgekehrt, um gegen die Wamphyri zu kämpfen oder um mit Zahlen zu spielen?
»Es ist wichtig!«
Nun gut, aber lass es uns kurz machen! Schau her!
Nathan »schaute« – und sah! Aus dem Nichts beschwor Blesse Zahlen herauf, jenen irrsinnigen Strudel durcheinanderwirbelnder Gleichungen, den Nathan bereits kannte; und doch war er anders. Denn während Nathans Zahlenwirbel tatsächlich aus lauter Gleichungen bestand, die sich sowohl aus den einfachen Markierungen des Szgany-Systems als auch aus Ziffern, Zeichen und dem ganzen Wust algebraischer Symbole einer fremden Parallelwelt zusammensetzten, bestand derjenige seines Neffen Blesse ausschließlich aus Bildern, die der Vorstellungswelt eines Wolfes entsprangen: Kratz- und Pfotenspuren, Symbolen für den Mond und die Sterne, Felshaufen aus fünf oder sechs Steinen und Kiefern, die in Dreier- und Vierergruppen beieinanderstanden. Die graue Bruderschaft »zählte« nur solche Dinge, die für sie von Bedeutung oder von Nutzen waren, für Nathan allerdings so gut wie keinen Sinn ergaben.
Dennoch schien das Auf und Ab und das Hin und Her des Ganzen durchaus zielgerichtet, ja es schien ... in eine bestimmte Richtung zu weisen. Bei seinem eigenen Zahlenwirbel hatte Nathan stets den Eindruck gehabt, es gehe um gewaltige Entfernungen, die innerhalb eines einzigen Augenblicks überwunden würden, und dass alle Zeit sich im JETZT konzentriere. Zudem hatte er immer an ferne Welten gedacht. Damals war ihm all dies ein Rätsel gewesen, nun jedoch gab es kaum etwas Wichtigeres für ihn: Seine Gleichungen hatten sich gleichsam als Grundstock des Möbius-Kontinuums erwiesen! War dieser Fall gleich
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