Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
losgehen.
Und ... kann ich das auch?
Halte dich einfach gut an mir fest, erklärte ihm Nathan, während sie, umrahmt von dem bläulichem Glanz, der aus der Tür drang, auf der Schwelle standen. Sieh nur ... da haben wir sie ja, die ganze Zukunft, bis in alle Ewigkeit. Alles, was wir tun müssen, ist herauszufinden, wie viel davon uns gehört!
Das aus der Tür dringende Leuchten mochte zwar blau sein, dennoch war es warm. Nicht körperlich warm, sondern einfach ... nun, eben warm. Und Goodly wusste auch, weshalb. Es handelte sich um den Glanz menschlichen Lebens! Denn noch während er dort, in der metaphysischen Leere, stand oder vielmehr schwebte, entströmte seinem Körper – als wäre es ein lebendiger Neonfaden, eine merkwürdige ektoplasmische Erweiterung seiner selbst – ein nicht enden wollender feiner Strahl blauen Lichts, der sich irgendwo in der Zukunft verlor; und mit Nathan geschah das Gleiche!
Hinter jener Zeit-Tür lag tatsächlich die Zukunft, ein Gewirr Hunderter, wenn nicht Tausender blauer Fäden, die allesamt dem sich stetig ausdehnenden, dunstigblauen, endlosen Horizont des Morgen zustrebten. Und selbst (oder vielleicht auch gerade) im Möbiuskontinuum vermochte niemand auf diese Szene zu blicken, ohne einen Klang zu hören, der im Grunde gar nicht da war, sondern dem ehrfurchtgebietenden Ausmaß des Anblicks entsprang, ein vielstimmiges, lang gezogenes Ahhhhhhh! wie von einem engelsgleichen Chor.
Allerdings war nicht alles hinter dieser Tür engelhaft. Zwischen den leuchtend blauen (und grünen, sogar goldenen) Linien befanden sich auch blutrote Fäden. Immerhin handelte es sich hier um die Zukunft der Sonn- und der Sternseite, und, wie es schien, gab es auch für die Vampire ein Morgen.
Wamphyri!, sagte Goodly und klammerte sich an Nathan fest, während der Necroscope sich mitten hinein die Zukunft stürzte. Diese roten Linien sind Vampire!
Ganz recht, erwiderte Nathan. Bei den grünen handelt es sich um Trogs, und die goldenen müssen ... wohl Thyre sein! Natürlich, denn bereits jetzt zeichnet sich ab, dass unsere Zukunft mit der ihren verknüpft ist.
Sie jagten den Strom der Zeit entlang. Die blauen Linien wurden immer schwächer und erloschen schließlich (oder schlimmer: Sie wurden rot), wenn die Menschen starben oder verwandelt wurden. Und doch gab es auch Hoffnung. Aus dem Nichts entsprangen weitere in einem leuchtenden Blau erstrahlende Fäden, die anzeigten, dass jemand geboren wurde. Rote Fäden näherten sich ihnen, bogen plötzlich ab, nur um wieder zurückzukommen. Nichts davon ergab einen Sinn, es zeugte lediglich von Kämpfen, die noch bevorstanden. Blutrote Fäden schlossen sich zusammen, bis sie eine ganze Horde ergaben, fielen zurück und erloschen scharenweise.
Doch mit einem Mal kam Nathan mit einem Ruck zum Stehen, und um ein Haar wäre Goodly seinem Griff entglitten und in die Zukunft gestürzt! Irgendwo, an einem gar nicht allzu weit entfernten Zeitpunkt, schwangen sie an ihren leuchtend blauen Fäden hin und her wie zwei Spinnen, vielleicht auch wie zwei abgestürzte Bergsteiger an ihren Seilen. Deutlich war zu sehen, dass Goodlys Seil die ganze Last trug, alle Kraft lag im Lebensfaden des Hellsehers, der sich mit unvermindertem Glanz in eine ungewisse, sich immer weiter ausdehnende Zukunft erstreckte. Nathans Lebenslinie hingegen endete hier! Hinter den beiden reichten ihre Lebensfäden zurück in die Gegenwart; vor ihnen ... lief nur Goodlys Faden weiter, und es schien beinahe, als bedeute er dem Hellseher, ihm endlich zu folgen. Doch nun kamen dem Hellseher die vor ihm liegenden Windungen, die sich in der dunstigen Ferne verloren, nur noch düster und unheimlich vor.
Das Gefühl, an einem Seil zu hängen, war so real, dass Goodly laut ausrief »LASS NICHT LOS!« Seine Worte hallten angsteinflößend in der metaphysischen Leere wider.
Es ist keine Frage des Loslassens oder nicht, entgegnete Nathan. Ich ... ich kann gar nicht »loslassen«, denn dieser Faden bin ich. Dies ist mein Leben, und hier ist es zu Ende.
Einen Augenblick lang schwieg Goodly, während sie im leeren Raum hingen und an Nathans Faden endlos hin und her schwangen. Dann sagte er leise: Machen wir, dass wir hier wegkommen ...
Wieder zurück in ihrem einstweiligen Lager, war Nathan noch in sich gekehrter als sonst. Weder Misha noch die anderen vermochten ihm ein Wort zu entlocken. Erst als die Schatten länger wurden und die Sonne immer tiefer sank, bis die Lücke zwischen ihrem Rand und
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