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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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    Schwerer Nebel lag über der Stadt, war bis in die Bahnhofshalle gekrochen, umhüllte Menschen, Züge und Leuchtreklamen, ließ sie zu geheimnisvoller Unschärfe zerfließen. Auch die Geräusche dämpfte er, sodass der Eurocity aus Rom beinahe lautlos und wie eine monströse Raupe am Ende der Gleise zum Stehen kam.
    Draußen vor der Bahnhofshalle war der Nebel noch dichter. Stefan Brunner, der gerade die Lokomotive eines Regionalzugs abgekoppelt hatte, bewegte sich vorsichtig zwischen den Gleisen. Es war sehr dunkel. Rund um die Lampen, entlang der breiten Einfahrt zum Münchner Hauptbahnhof, breitete sich magisches Leuchten aus, das den Boden nicht erreichte, sondern von den winzigen Wassertröpfchen in der Luft aufgesogen wurde. Brunner trug eine Grubenlampe auf der Stirn, doch auch sie half ihm wenig. Er musste sich tief vornüberbeugen, trotzdem mit seinen Füßen tasten, weil er seinen Weg eher ahnte denn sah.
    Eigentlich mochte Brunner den Nebel. November auch. Brunner hatte Phantasie, stellte sich bei seiner Arbeit gern ganz andere Dinge vor als das An- und Abkoppeln von Waggons oder Triebwagen. Er träumte von etwas Außergewöhnlichem, einem großen Knall, einer Katastrophe – einer, die er, Brunner, in letzter Sekunde verhindern würde.
    Oder nicht.
    Nein, es war besser, nach dem großen Knall zu erscheinen. Als der Retter. Die Bremsen eines ICE könnten versagen. Der Zug würde in die Bahnhofshalle rasen, mitten durch alleBuden, Cafés und Menschen. Brunner hatte so was mal in einem Film gesehen.
    Wahrscheinlicher war, dass zwei Züge an einer defekten Weiche zusammenstießen. Oder ein Bombenanschlag   … Bombenalarm gab es ein paar Mal im Jahr.
    Die einzige Katastrophe in der Nähe des Bahnhofs hatte Brunner nicht miterlebt. Weil er damals noch zu jung gewesen war. Ende der fünfziger Jahre, als ein Flugzeug den Turm der Paulskirche streifte und in die Bayerstraße stürzte, eine Straßenbahn unter sich begrub, Autos und Fußgänger, eine englische Fußballmannschaft auslöschte. Um ein Haar wäre die Maschine auf den Hauptbahnhof gefallen.
    Brunner stolperte, blieb einen Augenblick stehen. Mit einem Ruck setzte sich links von ihm ein Zug in Bewegung.
    Der letzte nach Salzburg, dachte Brunner und blickte kurz auf die leuchtende Anzeige seiner Armbanduhr.
    Zwei Minuten vor Mitternacht.
    Acht Minuten Verspätung, dachte Brunner. Gab kaum noch einen Zug, der pünktlich ankam oder abfuhr. Früher war das anders gewesen! Er konnte das beurteilen, war immerhin sein fünfunddreißigstes Jahr bei der Bahn, und er hatte es nicht eilig mit der Rente. Sie wären ihn gern los, das wusste er. Aber auf dem Ohr war er taub. Mit seinen sechsundfünfzig würde er sich nicht abschieben lassen, war fitter als viele seiner jüngeren Kollegen, hatte seine Arbeit immer einwandfrei erledigt und übernahm gern die Nachtschichten. Das war seine Rettung. Die Jüngeren machten nicht gern Nachtschicht.
    Sie hatten ja keine Ahnung. Wussten nichts davon, wie der Bahnhof sich nachts veränderte. Jeder einfahrende Zug konnte ein Geheimnis bergen – nein, bestand vielmehr aus Geheimnissen, Lichtern, Schattenrissen. Nachts klang das Kreischen der Räder auf den Schienen anders als am Tag.Und obwohl Brunner die Menschen meist nur aus der Ferne sah, wusste er, dass sie anders waren als die Tagreisenden.
    Noch nie hatte Brunner über all das gesprochen – nicht zu seinen Kollegen und nicht zu seiner Frau. Die hätten ihn für verrückt halten können. Aber Brunner wusste, dass er nicht verrückt war. Er hatte nur seine eigene Welt. Manchmal dachte er, dass alle Menschen so eine eigene Welt in sich trugen. Doch er konnte sich nicht einmal die Welt seiner Frau vorstellen. Nur die eigene – mit den Heldenträumen und den Nachtreisenden.
    Wieder stolperte Brunner, hielt sich am Pfosten einer Signalanlage fest und schaute in Richtung des IC E-Hangars , der im Nebel verschwunden war. Da war ein Geräusch, das ihn an kollernde Steine erinnerte, er meinte, einen Schatten zu sehen. Vor ihm bewegte sich etwas.
    Brunner atmete flach, rührte sich nicht. Der Nebel war noch dichter geworden, unmöglich etwas zu erkennen. Wahrscheinlich hatte er sich getäuscht. Es konnte allerdings sein, dass einer dieser Graffiti-Sprayer den Nebel nutzen wollte, um den neuen Hangar zu verzieren. Brunner ließ den Pfosten los und ging langsam weiter. Er hatte nichts gegen Sprayer. Auch sie gehörten zur Nachtwelt.
    Vorsichtig machte er einen Schritt, noch

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