Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
waren in der einen Sekunde noch da und in der nächsten verschwanden sie, verflüssigten sich mitsamt dem Geist, dem sie entstammten. Die letzten schwachen Schmerzensschreie verhallten ... die Flammen erstarben ... der Kontakt brach ab.
Entsetzt, noch ohne sich der Tragweite des Geschehens so recht bewusst zu sein, kleidete Daham Drakesh sich an. Seine Finger bebten, und vor seinem geistigen Auge sah er erneut das rätselhafte Gesicht des Mannes, den sein Blutsohn ihm gezeigt hatte, des Mannes von den Fotografien aus der Oxford Street, jenes ach-so-menschliche Antlitz, hinter dem sich eine unheimliche Intelligenz verbarg. Abermals überlief den Herrn des Klosters ein Schauder, diesmal allerdings nicht aus Vorfreude, diesmal lag es an der Kälte. An keiner gewöhnlichen Kälte, sondern an der fremdartigen Leere hinter den Augen jenes Mannes.
Für einen kurzen Moment war dem Vampir, als stehe ihm eine sonderbare, bedrohliche Nacht bevor, deren Schatten bereits ihre Klauen nach ihm ausstreckten ...
Zwei Tage später erwachte der Necroscope Harry Keogh am frühen Vormittag, als das Telefon läutete. Er hatte lange geschlafen und war von merkwürdigen Träumen heimgesucht worden – er hatte von der Großen Mehrheit geträumt, die zwar über ihn redete, aber nicht mit ihm –, und als er den Blick auf seinen Reisewecker richtete, tickte der Zeiger gerade von 9.44 auf 9.45 Uhr. Das Telefon auf dem Nachttischchen hörte nicht auf zu läuten. Harry streckte den Arm aus und nahm den Hörer ab. Das Ding jagte ihm schon seit Langem keine Angst mehr ein, auch wenn es immer noch flüchtige, beunruhigende Erinnerungen hervorrief. »Hu?«, grunzte er, während seine Träume verblassten und er allmählich zu sich kam.
»Habe ich dich geweckt?« Im ersten Moment erkannte Harry die raue Stimme am anderen Ende der Leitung nicht, doch dann fiel bei ihm der Groschen.
»Ben? Ben Trask?«, fragte er und dachte: Das E-Dezernat? Was soll das jetzt wieder? Aber was sollte schon sein, außer dass sie vielleicht etwas erfahren hatten. Etwas schärfer fragte er, nun ganz bei der Sache: »Ben, ist es wegen Brenda?«
»Tut mir leid, Harry«, erwiderte Trask. »Nein, deshalb rufe ich nicht an. Wir sind immer noch dran, das versteht sich von selbst, aber bisher konnten wir ... nichts in Erfahrung bringen. Es ist nur so, dass wir schon eine ganze Weile nichts mehr von dir gehört haben, und da dachten wir, wir sollten uns mal wieder unterhalten.«
»Wir?«
»Darcy, und wir anderen auch ... Wir wollen einfach nur wissen, wie es dir so geht?« Es fiel Trask nicht leicht zu lügen. Er war ein menschlicher Lügendetektor, und so etwas ging ihm gegen den Strich.
Harry nickte, obwohl sein Gegenüber ihn ja nicht zu sehen vermochte. »Im Großen und Ganzen gut. Und wie läuft es bei euch?«
»Routine.« Harry konnte regelrecht spüren, wie Trask die Achseln zuckte. »Nicht dass hier irgendetwas jemals wirklich reine Routine wäre! Und anscheinend gehen bei dir da oben ja auch ein paar komische Dinge vor ...«
Das war es also. Der Necroscope unternahm keinen Versuch, seinen Ärger zu verbergen. »Was willst du, Ben? Komm endlich zur Sache! Und wo ist eigentlich Darcy? Sollte er nicht diesen Anruf erledigen?« Oder versuchst du wieder einmal, der Wahrheit auf die Schliche zu kommen, he? Aber weshalb sollte ich euch belügen?
»Es gab einen Unfall – nun ja, ein Vorkommnis – bei dir da oben in Schottland«, antwortete Trask. »Hast du es nicht in der Zeitung gelesen?« Darüber, wo Darcy Clarke sich aufhielt, verlor er kein Wort.
»Ich bekomme nur die Sonntagszeitungen«, entgegnete Harry. »Wovon sprichst du eigentlich?« Den Necroscopen hatte die Neugier gepackt, aber er war auf der Hut. Was auch immer hier los war, weshalb meldete sich das E-Dezernat bei ihm? Glaubten sie etwa, er sei in irgendetwas verwickelt? Hier in Schottland hatte er doch keine Bank ausgeraubt, oder?
»Ein Vorkommnis«, wiederholte Trask. »Am River Spey, nördlich des Atholl-Forest, erst vor ein paar Tagen.«
»Am Fluss? Was für ein Vorkommnis?« Die Sache wurde immer merkwürdiger.
Er war mit Bonnie Jean unterwegs dorthin gewesen, doch dann hatte sie keine Lust mehr zum Klettern gehabt. Ihr war nicht gut gewesen ... vielleicht hatte sie auch geglaubt, er sei der Sache nicht gewachsen.
»In der Nähe des Flusses«, sagte Trask. »Ein Wagen kam von der Straße ab und brannte aus. Die Insassen verbrannten mit. Grauenhaft! Aber die Polizei fand eine Waffe, was auf
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