Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
Immer, wenn ich die angespannte A tmosphäre meiner sich ständig streitenden Eltern nicht mehr aushielt, klopfte ich bei ihr an. Sie hieß mich mit lachenden A ugen in ihrem gemütlichen W ohnzimmer willkommen, machte W itze und umsorgte mich. Sie hatte diesen wunderbaren Schrank voller Spiele– Mensch-ärgere-dich-nicht und Ludo. In besonders heißen Sommern machten wir manchmal ein Picknick im Park, und dann gab es als Extra-Überraschung Zuckerbrote. Sie hatte immer Komikerin werden wollen und sang mir alle alten Songs vor. Manchmal nahm sie mich sogar zu V audeville-Vorstellungen mit: Joyce Grenfell, Flanders and Swan, die Crazy Gang. Und da ich ein einsames Einzelkind war, freute ich mich das ganze Jahr über auf die Ferien, in denen ich gewöhnlich für eine W oche mit meiner Großmutter in ein Strandbad fuhr. W ir kauften uns dann immer eine Tüte frische Pflaumen, die wir an den Strand mitnahmen, und abends gingen wir zum Rummel an die Strandpromenade. Ich kann mich heute noch an das Rauschen der W ellen im Hintergrund erinnern, das sich mit den Geräuschen des Rummelplatzes vermischte, dem Klingen des Karussells, den Schreien aus der A chterbahn. Sie ließ mich alles Mögliche fahren, und immer wartete sie am Ende auf mich und fragte mich mit leuchtenden A ugen: » Hast du A ngst gehabt? W ar’s sehr schlimm? Oder war’s schön? Du bist so mutig, Schätzchen!«
Wenn ich ein Bild gemalt hatte und es stolz meinen Eltern zeigte, sagten sie: » Schön, aber hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?«
Wenn ich es dagegen meiner Großmutter zeigte, machte sie große A ugen und rief ungläubig aus: » Hast du das wirklich gemalt? Unmöglich, das kann ja gar nicht sein! Du machst W itze! Komm, ich will es mir im Licht anschauen. Schätzchen, das ist ja erstaunlich gut! Einfach wundervoll! W ürdest du mir erlauben, es zu rahmen und übers Sofa zu hängen, wo es jeder sehen kann? Du kannst so toll malen… und diese Farben! Schätzchen, du bist einfach unglaublich !«
Zwischen Großeltern besteht eine eigentümliche Großeltern-Kameradschaft. Neulich hat mir eine befreundete Granny von ihren zwei Enkeltöchtern erzählt, die eine drei, die andere erst neun Monate alt. Beide hatten Teddybären und meine Freundin meinte, sie wolle jedem der Bären einen Pulli stricken. Die Ältere wollte einen Pulli mit viel Glitter: rosa und gold, mit Silberfäden durchwirkt, auf der Front einen großen Glitzerstern. A uf die Frage, wie denn der Pulli für den Teddy ihrer kleinen Schwester aussehen solle– die ja noch nicht für sich selbst sprechen konnte–, antwortete das Engelchen mit einem fiesen Glitzern in den A ugen: » Ich glaube, grau wäre wirklich schön.«
Mein Enkelsohn kam eines Tages um fünf Uhr früh zu mir ins Bett gekrochen. Er habe von » Pinnen getäumt«, meinte er.
» Oma? Oma?«, sagte er, nachdem es ihm endlich gelungen war, mich wach zu kriegen. » Ich hab eine gute Idee. Du bis’ das Monster und fasteckst dich im Gaten. Und ich komm mit meim Schweat und eastech dich!«
Und als ich kurz darauf in meinem prächtigen Morgenmantel bibbernd in einer Hecke kauerte und meinen Enkel mit gezücktem Plastikschwert auf mich zuspringen sah, wurde mir plötzlich klar, wie glücklich ich war.
Ist es nicht einfach schön, alt zu werden?
Quellenverzeichnis
James Boswell: Dr. Samuel Johnson. Aus dem Englischen von Fritz Güttinger © Diogenes Verlag AG, Zürich 2008.
Rupert Brooke: »Kindliness«. In: Rupert Brooke: Collected Poems © John Lane, New York 1916.
Arthur Conan Doyle: Eine Studie in Scharlachrot. Aus dem Englischen von Gisbert Haefs © Kein & Aber AG, Zürich 2005.
Robert Frost: »Was Fünfzig sagte«. In: Promises to keep, Poems/Gedichte. Übersetzung und Nachwort von Lars Vollert © C. H. Beck, München 2010.
Oliver Goldsmith: Der Landprediger von Wakefield. Eine Erzählung angeblich von ihm selbst verfaßt. Hrsg.: Otto Knapp © Deutsche Bibliothek, Berlin 1913.
Maurice Goudeket: The Delights of Growing Old © Farrar, Straus and Giroux, New York 1966.
Carl Gustav Jung: Die Dynamik des Unbewussten. Ges. Werke, Bd. 8 © Walter Verlag AG, Olten; Freiburg 1985, Stiftung der Werke von C. G. Jung.
Cosmo Landesmann: Starstruck © Macmillan, London 2008.
Ogden Nash: »You can’t get there from here« © Curtis Brown Ltd., New York 1956.
Marcel Proust: Tage der Freuden. Aus dem Französischen von Ernst Weiss © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1965.
Leslie Sarony: »Ain’t It Grand to be
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