Das Fest der Köpfe
»Nolan«, sagte Mary Quint. »Nolan, ich mag es nicht, wenn ich in fremden Hotelbetten liegen muß. Du etwa?«
Der Mann gab keine Antwort.
»He, Nolan, ich habe mit dir gesprochen. Auch wenn wir fast dreißig Jahre verheiratet sind, kannst du sehr wohl mit mir reden. Das gehört sich einfach so.«
Noland schwieg noch immer.
Mary Quint atmete tief. »Schläfst du schon, Nolan? Bist du tatsächlich schon eingeschlafen…?« Der Mann blieb ruhig.
Und seine Frau sagte ebenfalls nichts mehr. Sie wußte nicht, ob sie sich ärgern sollte. Eigentlich war es eine Unverschämtheit, wie sie von ihrem Mann behandelt wurde. Der wollte einfach nicht mit ihr sprechen, obgleich er noch nicht eingeschlafen war. Sie hätte sonst die ruhigen, tiefen Atemzüge hören müssen, aber er lag einfach da und ignorierte sie. Das ärgerte Mary sehr.
»Ich frage dich jetzt zum letztenmal, Nolan, willst du mir eine Antwort geben oder nicht?« Sie grinste innerlich, denn diese Frage war raffiniert gestellt worden. Jetzt mußte er ja aus sich herausgehen und irgend etwas sagen. Nolan blieb stumm…
Mary erstickte fast an ihrer Wut. Was bildete sich dieser verdammte Kerl eigentlich ein? Kr überging sie einfach. Er tat so, als wäre sie nicht vorhanden. Er spielte den Unbeteiligten, er wollte von ihr nichts wissen, sie zu einem Wutanfall provozieren.
Mary schaute gegen die Decke. Sie war nicht zu sehen, kaum zu ahnen. Die verdammte Dunkelheit in diesem miesen Hotelzimmer paßte ihr ebenfalls nicht. Sie hatte nicht weggewollt. Schließlich war es Nolans Bruder gewesen, der seinen Geburtstag feierte. Nur seinetwegen waren sie mit der Fähre rübergefahren.
Jetzt stellte er sich so an.
Sie setzte sich hin. Das Blut war in ihren Kopf geströmt. Schnell und hart. Sie merkte den Druck. Schmerzen verspürte sie zwar nicht, aber der Druck ärgerte sie.
Eigentlich trug Nolan daran die Schuld. Nur weil er es nicht für nötig hielt, auf eine normale Frage eine normale Antwort zu geben. Sie drehte den Kopf. Das Fenster war klein. Auch dahinter lauerte die Dunkelheit. Es war nichts zu hören. Die dumpfe Stille des Zimmers kam ihr vor wie die Enge in einer verdammten Todeszelle. Sie brauchte Luft, auch Licht, und sie wollte endlich mit Nolan, ihrem Mann, reden.
Mary nickte, obwohl ihr Mann es nicht sehen konnte. »Gut, Nolan, du hast dich entschieden. Du hast dich entschieden, nicht mit mir zu reden, obwohl du nicht schläfst. Auch ich habe mich entschieden. Ich werde aufstehen, meinen Koffer packen und verschwinden. So einfach ist das. Hast du gehört, Nolan?«
Der Mann schwieg…
Da war sie es leid. Mary schwang herum, die Füße berührten den kalten Fußboden, ihr Arm bewegte sich nach rechts, wo der kleine Nachttisch stand. Dort befand sich die Lampe. Der Schalter leuchtete wie ein grüner Punkt.
Sie drückte ihn.
Das Licht war so anders. Völlig normal, trotzdem anders. Vielleicht lag es auch an der plötzlichen Helligkeit, daß ihr dieser Gegensatz so fremd vorkam. Sie hatte einfach zu lange in der Dunkelheit gelegen. Es gab zwei Lampen, aber das Licht der einen reichte schon aus. Der Schirm war so gerichtet, daß er auch das andere Bett beleuchtete. Da lag Nolan.
Sie legte sich wieder zurück, drehte sich dann zu ihm um und stützte sich halb hoch.
Mary wollte ihn sehen, sie wollte…
Er sagte wieder nichts. Er lag da und hatte das Bettlaken bis zum Hals hochgezogen. Seine Wange sah so gelb und verblichen aus, fast wie die Haut einer alten Leiche.
Der Kopf lag auf dem Kissen wie ein Fremdkörper, abgehackt vom Körper.
Ein Kopf, ein Gesicht, Züge, die…
Mary faßte es nicht. Nolan sah fürchterlich aus. Sein Mund stand offen, die beiden Kiefer schienen sich verhakt zu haben. Die Haut war so unnatürlich, spannte sich scharf, war wächsern.
Dann die Augen…
Aufgerissen, Panik im Blick, der trotzdem so fürchterlich leer war, kein Gefühl mehr zeigte.
Sie würgte. Plötzlich wußte sie Bescheid. Sie hätte ihn noch zehn Stunden fragen können, er hätte keine Antwort gegeben. Er würde nie mehr antworten, denn Nolan Quint war tot.
Erst Sekunden später fing Mary an zu schreien!
»Bring deinem Großvater das Essen, Matthew!«
»Wo ist er denn?«
»Auf dem Feld. Er will durcharbeiten und hat keine Zeit, um eine Pause einzulegen.«
»Er hätte das Essen auch mitnehmen können«, maulte der Vierzehnjährige.
»Bring es ihm. Nimm dir an deinem Großvater ein Beispiel. Du lungerst hier nur herum.«
»Es sind Ferien,
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