Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!
ein Glück, am Leben zu sein! Äh, ja und?
Außerdem hat man keine Zeit zumTagebuchschreiben, wenn man glücklich ist, weil man nur schöne Sachen macht, wie Freunde zumAbendessen einladen, fürWeihnachten Blumenzwiebeln inTöpfe pflanzen und sie unter dieTreppe stellen, alte Folgen von Dick und Doof auf YouTube gucken und sich kringelig lachen, das Gästezimmer frisch streichen, überlegen, ob man Fotos sortieren und inAlben kleben soll (bitte beachten: Ich habe » überlegen « geschrieben) oder einfach mit einem lieben Menschen zusammensitzen und… na ja, eher wenig machen.Wenn man mit jemandem zusammen ist, möchte man eigentlich keine schönen Sachen unternehmen. Sondern eher nichts tun.
Als ich im grandiosenAlter von sechzig JahrenArchie, die große Liebe meines Lebens, wiederentdeckte, haben wir sehr häufig einfach nichts gemacht. NachArchie war ich schon seit meiner Jugend verrückt, aber wir hatten jeweils andere Partner geheiratet und uns dann aus denAugen verloren. Nach meiner Scheidung von David und demTod vonArchies Frau wurden wir ein Paar. Unsere Kuschelnächte waren fantastisch, aber wir verbrachten auch viel Zeit einfach nur mit Herumgammeln.Wenn wir bei seinem großen viktorianischen Landhaus in einer entlegenen Ecke von Devon durch den Park und über die Felder zu den Farmhäusern spazierten, sprachen wir häufig keinWort. Dabei war unser Schweigen nicht von der scheußlichen vorwurfsvollen Sorte, bei der einer irgendwann nervös fragt: » Was ist los? « und der andere laut und pampig mit » Nichts! « antwortet. Diese Zeiten liegen zum Glück hinter mir! Nein, wir konnten auf freundlich entspannteWeise gemeinsam schweigen.
Manchmal plauderten wir ein bisschen und machten Pläne für die Zukunft oder beschäftigten uns mit Erinnerungen– ich erzählte ihm von meiner stressigen Zeit mit David (der heute einer meiner besten Freunde ist) und Davids stressiger Zeit mit mir, undArchie erzählte mir mit so viel Schmerz und Liebe vom Leben mit seiner verstorbenen Frau Philippa, dass ich unmöglich eifersüchtig sein konnte (wie auch, wenn sie ihn so glücklich gemacht hatte!).
Ab und an redeten wir über meinen Sohn Jack, seine Frau Chrissie und meinen hinreißenden und heiß geliebten Enkel Gene– und freuten uns gemeinsam über die Ehe seinerTochter Sylvie mit ihrer Kinderliebe Harry.
Archie und ich hatten gleich zuAnfang beschlossen, dass wir nicht zusammenleben wollten– wir waren beide klug genug, nicht auf diese unsinnige Idee zu kommen, vor allem, da ich mich seit meiner Scheidung allein sehr wohlfühle. (Das kann man sich seltsamerweise schwer wieder abtrainieren.Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, alleinige Herrscherin über die Fernbedienung zu sein, selbst am Steuer desAutos zu sitzen, dasAbendessen nach Lust und Laune auszusuchen, die Spülmaschine nach Gusto einzuräumen und zu bestimmen, wann sie laufen muss, die Karotten nach Belieben zu schnippeln und darüber zu entscheiden, wo der Fisch gekauft und wann abends das Licht ausgemacht wird, dann möchte man diese Selbstständigkeit nicht mehr aufgeben. Manchmal denke ich, dass wir als Single wirklich eine andere Gestalt haben.Wenn wir nach einem Partner suchen, haben wir Ein- undAusbuchtungen wie Puzzleteile und halten ständig nach dem GegenstückAusschau.Als Single hingegen sind wir glatt und rund und selbstgenügsam und können uns nicht mehr nahtlos in andere Persönlichkeiten einfügen. Es sei denn, jemand ist wie ein großes rundesVakuum, was natürlich charakterlich wenig attraktiv ist.)
AberArchie und ich verbringen oft dieWochenenden zusammen. Entweder er ist bei mir in meinem edwardianischen Haus mitTerrasse im Londoner Stadtteil Shepherd’s Bush, oder ich fahre zu ihm nach Devon– stets gerüstet mit Heizdecke, Daunenweste,Thermo-Unterwäsche, Leggings undAngoraschlüpfer.Archie ist– im Gegensatz zu mir– gut betucht, hasst es jedoch wie viele auf dem Land lebendeAristokraten, Geld für etwas so Dekadentes wie Heizung auszugeben. Die riesige, düstere Küche ist also mit modernsten Gerätschaften und makellosen Schieferarbeitsflächen ausgestattet, und in den Schlafzimmern hängen edle Chintzvorhänge (allerdings buchstäblich am seidenen Faden), aber das Haus selbst kommt allmählich herunter.Wenn ich dort mal koche, dann nur mit Mütze, Schal und Mantel; und ich habe mir ausWollhandschuhen Fingerwärmer gemacht, die ich auch im Haus trage. Manchmal stelle ich sogar den Backofen an und lasse ihn offen, damit
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