Nekropole (German Edition)
versuchte ein aufmunterndes Lächeln.
»Dann ist es gut«, sagte er. »Aber wir können nicht hierbleiben. Es könnten noch mehr von ihnen kommen.« Er stand auf und hielt ihr die Hand hin. Ayla zögerte noch einen letzten Moment, und das Misstrauen in ihrem Blick wuchs, doch dann nahm sie sein Angebot an und ließ sich von ihm hochziehen. Wie fast immer trug sie auch jetzt eng sitzende Handschuhe aus schwarzem Leder, doch Andrej konnte selbst durch das dicke Material hindurch spüren, wie rasend schnell ihr Herz schlug, und dass sie am ganzen Leib zitterte.
»Wirst du auf mich aufpassen?«, fragte sie.
»Natürlich«, versicherte ihr Andrej. »Dir wird nichts geschehen, keine Angst. Aber wir müssen hier weg!«
Hinter ihm gab es ein Geräusch, als würde eine Melone von einem Streitkolben getroffen, so widerwärtig, dass Andrej einen Moment verstreichen ließ, bevor er sich herumdrehte, dann aber feststellen musste, dass er doch zu kurz gewesen war.
»Wenn ihr beiden Turteltäubchen fertig seid mit Süßholzraspeln, dann würde ich gerne auf Euren Vorschlag zurückkommen, Sahib, und von hier verschwinden«, sagte Abu Dun, sich die Eisenhand an den Kleidern des Toten zu seinen Füßen abwischend. »Wir bekommen nämlich gleich Besuch. Aber keinen lieben.«
Tatsächlich torkelten nicht weit hinter ihm zwei weitere Gestalten heran, eine davon kaum so groß wie ein zehnjähriges Kind, wie Andrej voller Entsetzen erkannte, und beide mit grauen Gesichtern und leeren Augen.
Sie waren nicht die Einzigen. Andrej konnte zwar keine weiteren Untoten sehen, aber er spürte ihre Anwesenheit wie schwärende Wunden in der Wirklichkeit, die ebenso unerbittlich wie unaufhaltsam näher rückten.
Entsetzlich viele
. Wie konnten es so viele geworden sein, in so kurzer Zeit?
»Abu Dun hat recht«, sagte er. »Wir müssen weg hier.«
»Aber du wirst mich beschützen?«, fragte Ayla ängstlich.
»Niemand wird dir etwas tun«, sagte Andrej ernst. »Das verspreche ich.«
»Wie rührend«, spottete Abu Dun. Doch Andrej entging nicht die leichte Nervosität, die in seiner Stimme mitschwang. »Aber jetzt kommt.«
Andrej nickte und wartete, bis Ayla ebenfalls mit einem Nicken antwortete und von sich aus losging. Sie kam ihm schrecklich verwundbar vor, so klein und zerbrechlich, dass er sich beherrschen musste, um sie nicht einfach an sich zu ziehen und in die Arme zu schließen. Vorsichtig schob er sie vor sich, damit sie sich zwischen Abu Dun und ihm befand, und ließ zwar ihre Hand los, legte aber sofort die Rechte auf ihre Schulter, vorgeblich um sie zu beschützen, in Wahrheit aber schlicht, weil er ihre Nähe genoss, und die Berührung. Mit der anderen Hand zog er das Schwert, die Klinge so haltend, dass Ayla sie nicht sah. Auf der Reise hierher hatte sie Schlimmes erlebt und war vermutlich noch sehr viel Schlimmeres gewohnt, aber er wollte sie nicht noch zusätzlich beunruhigen.
Was nichts daran änderte, dass er Fragen an sie hatte. Eine Menge Fragen. Aber jetzt war nicht der Moment, um sie zu stellen.
Abu Dun maß ihn mit einem Blick über die Schulter, als hätte er jeden einzelnen dieser Gedanken laut ausgesprochen. Das Schwert hatte er wieder eingesteckt und die eiserne Hand, die vermutlich gefährlicher war als jede Waffe, zur Faust geballt.
Unbehelligt erreichten sie eine brüchige Treppe, die in halsbrecherischem Winkel nach unten führte, und der mehrere Stufen fehlten. Abu Dun und ihm bereitete es keine Schwierigkeiten, das Hindernis zu überwinden, und Ayla nahm er kurzerhand in den Arm und bewältigte die gefährlichen Lücken mit sicheren Sprüngen. Ayla unterdrückte jeden Schreckenslaut, aber er konnte spüren, wie schnell und hart ihr Herz schlug. Sie zitterte am ganzen Leib. Andrej konnte nicht anders, als ihre Tapferkeit zu bewundern. Die meisten Männer, denen er je begegnet war, wären unter dem Druck dieser Situation wohl längst zusammengebrochen.
Abu Dun, der vorausgeeilt war, blieb am Fuße der Treppe kurz stehen, um sichernd nach rechts und links zu blicken, bevor er einen halben Schritt zur Seite trat, um Andrej Platz zu machen. Ayla fuhr in seinem Arm so heftig zusammen, dass Andrej sie um ein Haar fallen gelassen hätte und instinktiv so fest an sich drückte, dass sie keine Luft mehr bekam. Hastig setzte er sie ab, hielt sie aber mit beiden Händen fest, damit sie nicht stürzte. Sie zitterte immer heftiger.
»Dort hinten ist noch ein Ausgang.« Abu Dun deutete auf einen aus Ziegeln gemauerten
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