Nekropole (German Edition)
vorüberflog, statt der zwei Pfund Fleisch, auf die er es eigentlich abgesehen gehabt hatte. Andrej rammte ihm den Ellbogen auf den Rücken, und der kraftvolle Sprung endete in einem unbeholfenen dreifachen Überschlag, dann kam die unheimliche Kreatur nicht mehr in die Höhe. Ihre Hinterläufe knickten ein, und sie taumelte zuerst auf die eine, dann auf die andere Seite. Das zerschmetterte Maul schnappte ziellos umher, und die Ehrfurcht gebietenden Krallen an den Vordertatzen wühlten den Boden auf.
Andrej ließ sie noch eine kurze Weile gewähren, dann zog er sein Schwert und enthauptete die Bestie. Einen Moment später schlug er noch einmal zu und zertrümmerte den Schädel des Ungeheuers endgültig, als er sich an sein schreckliches Erlebnis in der Gaststube erinnerte, und endlich wich die bösartige Karikatur von Leben aus den schon lange erloschenen Augen.
»Das hat aber gedauert«, empfing ihn Abu Dun, als er sein Schwert einsteckte und zu ihm zurückging. Noch immer stand er breitbeinig und grinsend da, den Fuß auf dem zappelnden Mann am Boden, ohne von seinem stummen Wüten Notiz zu nehmen. Die Gestalt kam ihm vertraut vor, aber es gelang ihm nicht, das Gefühl zu greifen, und nur einen Moment später war es auch schon wieder verschwunden.
»Ein wenig Hilfe wäre vielleicht nicht schlecht gewesen«, sagte Andrej vorwurfsvoll.
Abu Duns Grinsen wurde nur noch breiter. »Ich fand, es war eine kurzweilige Vorstellung«, sagte er. »Für einen Mann deines fortgeschrittenen Alters bist du noch immer recht schnell, das muss man dir lassen … aber wenn du schon meine Hilfe brauchst, um mit einem tollwütigen Hund fertigzuwerden, dann haben wir ein Problem.«
Das hatten sie ohnehin. Andrejs Fuß meldete sich wieder, und tief in ihm regte sich finstere Gier. Er wehrte sich dagegen, mit aller Kraft, und es gelang ihm, sie zurückzudrängen. Wie lange noch, fragte er sich schaudernd. Wie lange würde er den Kampf noch gewinnen?
Abu Dun beendete endlich das unwürdige Schauspiel, indem er seinen Krummsäbel zweimal kraftvoll niedersausen ließ, und machte mit dem anderen Arm eine ausholende Geste in die Runde. »Kannst du sie aufspüren?«
Das konnte er – er meinte, ganz sacht Aylas Gegenwart zu fühlen –, doch er war sich nicht mehr sicher, ob er es auch
sollte.
Er wollte und musste Ayla finden, spürte er doch, in welch entsetzlicher Gefahr das Mädchen schwebte. Aber Abu Dun erschien ihm mit einem Male als Bedrohung, vielleicht sogar als Gefahr, nicht für sich, sehr wohl aber für Ayla. Dennoch nickte er nach kurzem Überlegen.
»Dann tut es, Sahib«, sagte Abu Dun spöttisch. »Wenn es nicht zu viel verlangt ist, natürlich.«
Andrej verbiss sich eine scharfe Entgegnung. Er konnte die Nervosität des Nubiers verstehen. Sie befanden sich noch immer im Kolosseum, wenn auch auf der anderen Seite des gewaltigen Ovals. Nun, wo er wusste, was sich unter dem vermeintlich so massiven Boden verbarg, erschien ihm dieser Ort wie zeitlos, als hätten ihn all die unbeschreiblichen Grausamkeiten und das Übermaß an Leid, das er gesehen hatte, aus dem normalen Fluss der Zeit herausgerissen, um ihn auf ewig zu einem Mahnmal des Schreckens erstarren zu lassen, den Menschen einander anzutun vermochten.
»Wo bleiben deine Freunde?«, murmelte Abu Dun. »Ich will hier nicht länger als nötig bleiben. Irgendetwas ist hier. Ich weiß nicht was, aber es macht mir Angst.«
Aus Abu Duns Mund war das ein ganz erstaunliches Eingeständnis, aber Andrej kam nicht dazu, seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen, denn in diesem Moment erscholl irgendwo über ihnen ein entsetzter, schriller Schrei.
»Ayla!«
Nebeneinander stürmten sie los. Dem ersten Schrei folgte kein zweiter mehr, doch der Laut hallte so lange in Andrejs Ohren wider, dass er ihm wenigstens ungefähr die Richtung wies – und mehr brauchte er nicht. Er war von oben gekommen, von einem der vielen steinernen Ränge, die die titanische Arena säumten, und mit einem Mal war Aylas Gegenwart so überdeutlich zu spüren, als brennte in seinem Geist ein Leuchtfeuer, das ihm jenseits allen Zweifels den Weg wies. Da war noch mehr, entsetzlich viel mehr, von dieser brodelnden fauligen Schwärze, aber wie hatte er diese stinkenden Tümpel aus Furcht auch nur für einen Atemzug mit dem strahlenden Stern von Aylas Nähe verwechseln können, der in seinem Inneren leuchtete?
Mit weit ausgreifenden Schritten jagte Andrej voraus und eine steile Treppe hinauf, deren bloßer
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