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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Krawatte.
    Flemming war das genaue Gegenteil.
    Er war keinen Tag älter als ich, wahrscheinlich sogar etliche Jahre jünger, trug einen schwarzen Rollkragenpullover, weiße Jeans und Nike-Schuhe und sein Haar war noch um einiges voller als mein eigenes. Er war schlecht rasiert.
    Über sein Gesicht kann ich nicht viel sagen. Er blickte von seinem Computer auf und setzte zu einem entschuldigenden Grinsen an und in der nächsten Sekunde explodierte zuerst sein Gesicht und dann sein Kopf in alle Richtungen.
    Im ersten Moment erschrak ich nicht einmal wirklich. Ich meine: Natürlich erschrak ich bis ins Innerste — wer nicht, an meiner Stelle? —, aber der Schock war vermutlich so gewaltig, dass ich in der allerersten Sekunde eigentlich gar nichts empfand; außer einer so vollkommenen Fassungslosigkeit, dass vielleicht einfach kein Platz mehr für irgendeine andere Empfindung blieb. Schließlich erlebt man nicht jeden Tag, dass einem Typ, der nichts Schlimmeres getan hatte als aufzustehen und einen Computer auszuschalten, in der nächsten Sekunde das Gesicht wegfliegt.
    Wortwörtlich.
    Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich es wirklich gesehen habe oder ob mir meine Fantasie in diesem Moment einen üblen Streich gespielt hat, aber ich meinte ganz deutlich zu sehen, wie sich sein Gesicht aufblähte wie ein Luftballon, den jemand versehentlich an einen Hochleistungskompressor angeschlossen hat. Die Augen quollen aus den Höhlen, die Backen blähten sich wie bei einer dieser naiven Kinderbuchillustrationen aus den Fünfzigern (der Wind, der eine Wolke davonbläst) und die Lippen schienen sich wie zu einem höhnischen Grinsen zu verziehen; es hätte nur noch gefehlt, dass der explodierende Mund ein hämisches Peng ausgestoßen hätte. Für den Bruchteil einer Sekunde blickten die Augen in verschiedene Richtungen und zumindest in einem davon glaubte ich einen Ausdruck vollkommener und absoluter Verblüffung zu erkennen — keinen Schmerz, ganz bestimmt keinen Schmerz, dafür ging alles viel zu schnell —, und schließlich sträubte sich jedes einzelne Haar auf dem Schädel, wie bei einer Comicfigur, die die Finger in die Steckdose gesteckt hat.
    Dann begann hinter mir eine der Frauen zu kreischen und das brach den Bann. Meine hysterische Fantasie kroch wieder in die Ecke zurück, in die sie gehörte, und die Wirklichkeit nahm die Stelle der grässlichen Halluzination ein.
    Nicht dass die irgendwie angenehmer gewesen wäre.
    Es ging unglaublich schnell, weniger als eine Sekunde, da bin ich mir sicher, aber eine Sekunde kann eine entsetzlich lange Zeit sein, vor allem, wenn man dasteht und sich zu bewegen versucht und der Körper beharrlich darauf besteht, dem normalen Zeitablauf zu folgen, statt auf Warp-Geschwindigkeit zu schalten, wie es meine Gedanken getan hatten. Flemmings Gesicht zerplatzte in kleine Fetzen und flog in alle Richtungen davon (ja, auch in meine), dann explodierte sein gesamter Schädel; obwohl ich nicht sicher bin, ob explodieren das richtige Wort ist. Es gab keinen Blitz, keine Flammen oder Rauch oder so etwas; sein Schädel löste sich einfach in seine Bestandteile auf, so schnell, dass von einem Sekundenbruchteil auf den anderen nur noch eine auseinander stiebende rosarote Wolke aus Haut und Knochensplittern und Blut oberhalb seines Halses war. Eines der davonfliegenden Augen schien mich vorwurfsvoll anzublicken, während es an mir vorbeisegelte, Knochensplitter schrammten wie die winzigen Kugeln eines Schrapnellgeschosses in die Tischplatte und stanzten ein unregelmäßiges Lochmuster in die Wand hinter ihm und der ganze Raum schien mit einem Male in Blut getaucht zu sein. Selbst das Licht wurde für einen Moment rot, und irgendwie brachte ich es endlich fertig, die Augen zu schließen, um dem furchtbaren Anblick zu entkommen.
    Ein Fehler.
    Ich sah es immer noch, schlimmer als zuvor. Meine Fantasie hatte sich keineswegs diskret zurückgezogen, und sie hatte auch nicht vor der Wirklichkeit kapituliert, sondern sich im Gegenteil mit ihr zusammengetan und lieferte mir mehr entsetzliche Einzelheiten, als es meine Augen je gekonnt hätten. Etwas Warmes klatschte in mein Gesicht und lief weich und klebrig an meiner Wange herab.
    Winzige, spitze Knochensplitter flogen wie gemeine Blasrohrgeschosse durch die Luft und eines davon bohrte sich in meinen linken Handrücken. Der Schmerz war nicht einmal sehr schlimm — ein Bienenstich tat eindeutig mehr weh —, aber das Bewusstsein, was mich da getroffen

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